Im Reichstage (1870 bis 1874) 77
Es kann auch nicht anders sein.
Lange Jahre der Zeit, die hinter uns liegt, und in welcher die Ge-
setzgebung die freie Entwicklung des gewerblichen Verkehrs gehemmt hat,
waren die Vereinigten Staaten die Zuflucht von Tausenden fleißiger Arbeiter.
Lange Jahre politischen Ringens in Deutschland war Nordamerika
die Zuflucht mancher ehrlicher Kämpfer für die Sache, die heute gesiegt
hat. Lange Jahre hindurch hat Deutschland auf die riesenhafte Ent-
wicklung des amerikanischen Freistaats geblickt und daraus Trost und
Hoffnung geschöpft.
So haben sich geistige und materielle Bande geschlossen, beide gleich
unzerreißbar. Jeder Pulsschlag des amerikanischen Lebens wird diesseits
des Ozeans gefühlt.
Mit welcher Spannung sind wir den Phasen des großen Kampfes
gefolgt, den im letzten Jahrzehnt die Union für ihre Einheit gekämpft hat.
War es doch ein Kampf, in welchem auch für unsre Einheit gestritten
wurde. Und auch unfre letzten großen Kämpfe haben sich der gleichen
Teilnahme des Volkes der Vereinigten Staaten zu erfreuen gehabt. Wir
haben davon die großartigsten und erhebendsten Beweise erhalten, und ich
bin glücklich, heute berufen zu sein, den Dank Deutschlands auszusprechen.
So bringe ich denn dies Glas den Vereinigten Staaten von Amerika.
Sie waren in der Zeit unfrer Anfangsentwicklung für Deutschland eine
Stütze. Sie waren in der Zeit unfrer großen Siege neidlose Freunde,
sie werden, so darf ich wohl sagen, in der Zeit der friedlichen Ent-
wicklung unsrer Größe treue Verbündete sein.
Die Vereinigten Staaten von Amerika leben hoch!
München, 5. März 1872.
Heute Diner bei dem preußischen Gesandten mit Döllinger, Reinkens
und Werthern zu Ehren Harry Arnims, der hier durchreist nach Rom,
um dort sein Abberufungsschreiben zu übergeben. Bei Tisch äußerte sich
Reinkens in gewohnter offener Weise und bekämpfte die Notwendigkeit
der Nunziaturen in Deutschland. Arnim hält sie für ungefährlich.
Nach Tische kam ich mit Arnim in ein längeres Gespräch. Er ist
mit Tauffkirchen nicht zufrieden, den er nicht für geschickt genug hält.
Von Rom sprach er mit vieler Sachkenntnis. Den gegenwärtigen Papst
nennt er eine Monstrosität, wie sie noch gar nicht dagewesen. Ueber
den Nachfolger, wenn Pius IX. einmal sterben sollte, ist man in Berlin
noch nicht im klaren. Arnim hält einen deutschen Kardinal für geeignet.
So viel steht aber fest, daß Bismarck den Kampf mit Rom aufnehmen
und durchführen will. Er macht sich keine Illusionen über die Tragweite
des Kampfes, aber er hat seinen Entschluß gefaßt. Arnim wird eine