78 Im Reichstage (1870 bis 1874)
„Kriegserklärung“ nach Rom bringen. 1) Es scheint, daß die kompro-
mittierenden Papiere, die man bei den Jesuiten in Posen gefunden hat,
dem Faß den Boden ausgeschlagen haben. 2) Es ist richtig, daß man
auch Briefe von Windthorst an Kozmian gefunden hat, in welchen
der erstere den Polen Verhaltungsmaßregeln in der Schulfrage u. s. w.
gegeben hat.
Berlin, 10. Mai 1872.
Gestern verbreitete sich das Gerücht, Bismarck sei wieder so unwohl,
daß er auf ein halbes Jahr aufs Land gehen müßte. Nachdem ich ihn
erst vor wenigen Tagen frisch und gesund gesehen hatte, kam mir dies
sonderbar vor, und ich vermutete irgendeine Schulkrankheit. Dies ist auch
der Fall. Bismarck hat mit dem Kaiser Schwierigkeiten. Seine gewalt-
tätige, ungeduldige Natur erträgt den Druck, den der alte Herr auf ihn
ausübt, nicht gern. In der kirchlichen Frage will Bismarck entschieden
vorgehen, der Kaiser fürchtet aber den Kampf, oder besser gesagt, er will
sich seine letzten Lebensjahre nicht durch einen Kampf verbittern lassen,
der ihm wenig Ruhm zu bringen verspricht.
Gestern war ich mit Prinz Wilhelm von Baden, Hermann Langen-
burg, Benda, Kardorff, Simson und Lasker bei Münster. Ich saß neben
Lasker. Das Gespräch kam auf schöne Literatur, und da hörte ich mit
Interesse, daß Lasker Heine nicht leiden kann. Er erzählte, er hätte ein-
mal eine Wette gewonnen; als in einer Gesellschaft Heine gerühmt worden
sei, habe er den Anhänger Heines aufgefordert, etwas von Heine vorzu-
lesen, er werde dann das Schönste von Platen lesen, und die Gesellschaft
solle entscheiden. Als nun nach der Vorlesung Heinescher Lieder er,
Lasker, die berühmtesten der Platenschen Balladen vorlas, hätte sich die
Gesellschaft für ihn entschieden. „Heine machte dagegen den Eindruck eines
Bänkelsängers.“ Heyse stellt Lasker, was die Schönheit des Stils betrifft,
dem Boccaccio gleich.
Lasker ist dadurch so bedeutend, daß er vollkommen bedürfnislos ist.
Er braucht kein Geld, sucht keine Stelle, ist unzugänglich nach allen Seiten.
Niemand kann ihm ankommen, und er verwendet sein Talent nur zur
Befriedigung seines Ehrgeizes.
1) Der zum Botschafter in Paris ernannte Graf Arnim überreichte dem Papste
sein Abberufungsschreiben am 21. März.
2) Wegen eines angeblichen Attentatsversuchs auf den Reichskanzler war am
23. Februar eine Haussuchung bei dem Prälaten Kozmian in Posen vorgenommen
worden, bei welcher keine Beweise für das Attentat, aber Briesschaften gefunden
waren, die für die Beziehungen des Zentrums zu den Polen kompromittierend
waren.