Im Reichstage (1870 bis 1874) 79
Die Jesuitenfrage beschäftigt, neben dem Kardinal, ) die Reichstags-
mitglieder. Letzterer wird jetzt weniger besprochen, nachdem die Sache ab-
gemacht ist und der Papst ihn nicht angenommen hat. Was die Jesuiten-
frage betrifft, so gehen die Ansichten noch sehr auseinander. Schließlich
wird wohl der Vorschlag Gneists in der Petitionskommission angenommen
und beschlossen werden, die Bitte an die Reichsregierung zu stellen, die
Gesetzgebung der süddeutschen Staaten auf das Reich zu übertragen. Eine
milde Form der Vertreibung des Ordens. Niemand will recht „ziehen“.
Die Notwendigkeit, den Jesuitenorden auszuweisen, ist noch nicht so ins
Volk eingedrungen, als dies nötig wäre, wenn man ein einfaches Aus-
weisungsgesetz beschließen wollte. So scheint wenigstens die Meinung
vieler zu sein. Ich selbst bin wenig dabei beteiligt. Gestern kam Lasker
in der Sitzung zu mir und brachte mir den Antrag, die Kompetenz des
Reichs auch auf das Ziovilrecht, Prozeß- und Gerichtsorganisation aus-
zudehnen. Er hatte schon dieselben Unterschriften wie vorigen Herbst und
wollte, daß ich wieder als Antragsteller mitunterzeichnen möchte. Da aber
der Antrag beim König wegen des Hereinziehens der Gerichtsorganisation
großes Mißfallen erregt hatte, so sagte ich Lasker, daß ich nicht unter-
zeichnen könnte, wenn die Gerichtsorganisation mitbenannt wäre. Stauffen-
berg und Herz hatten schon unterschrieben. Bernuth war in großer Ver-
legenheit, er fürchtete sich vor Lasker. Auf meine offene Erklärung, daß
ich nicht wolle, erklärte Lasker zu meinem größten Erstaunen, daß er
suchen werde, den Antrag nach meinen Wünschen zu modifizieren. Es
scheint, daß er großen Wert auf meine Unterschrift legt.½)
Die fremden Diplomaten räsonieren darüber, daß Bismarck die Er-
nennung des Kardinals ebruitiert habe, ehe die Antwort von Rom da
war. Sehr rücksichtsvoll für Gustav ist dies nicht, und es wird ihm
schaden. Allein man konnte es voraussehen, daß er es so machen würde.
Bei Beratung des Etatstitels für die Gesandtschaft bei dem päpst-
lichen Stuhle am 14. Mai 1872 hatte der Abgeordnete von Bennigsen
1) Am 25. April hatte der deutsche Geschäftsträger dem Kardinal-Staatssekretär
vertraulich mitgeteilt, daß der Kaiser den Kardinal Prinzen Hohenlohe zum Bot-
schafter ernannt habe und daß der Kardinal nach Rom kommen werde, um sich zu
vergewissern, daß seine Ernennung dem Papste genehm sei, und in diesem Falle
sein Beglaubigungsschreiben zu überreichen. Auf Ersuchen des Geschäftsträgers
vom 1. Mai um Antwort auf die Notifikation vom 25. April erfolgte am 2. Mai
die Antwort des Kardinal-Saatssekretärs, daß der Papst den Kardinal Hohenlohe
zur Annahme des Amts nicht autorisieren könne.
2) Am 29. Mai erklärte Lasker, daß die Worte des früher schon zweimal an-
genommenen Antrags „einschließlich der Gerichtsorganisation“ weggelassen seien
auf Wunsch mehrerer Mit antragsteller, „die wir nicht entbehren wollten“.