Im Reichstage (1870 bis 1874) 81
ungeheuer. Es strömten die Leute von allen Seiten herbei. Zuerst sprach
Moufang, dessen Rede ganz gut vor die meinige paßte. Wagner, der
nachfolgte, nahm mir von meiner Rede manches weg, ich kümmerte mich
aber nicht darum, sondern hielt meine Rede flottweg, wie sie war, nur
mit den durch Moufangs Rede veranlaßten Zusätzen. Von der Redner-
bühne spricht es sich sehr angenehm. Der Gesetzentwurf, den ich am
Schlusse meiner Rede als nötig bezeichnete und spezifizierte, machte auf
das Zentrum einen tiefen Eindruck. Einige Herren, die in der Nähe des
Zentrums sitzen, erzählten es mir.
Sehr merkwürdig war mir, daß Bismarck, den ich im Heruntergehen
von der Rednerbühne begrüßte, mir sagte: „Ja, so ein Gesetzentwurf
wird ja wohl kommen müssen, wie Sie ihn angedeutet haben.“
Ich bekam kein Bravo. Weil meine Rede ohne Schlußeffekt endete,
so wußte niemand, daß ich aufhören würde. Ich tat es aber absichtlich,
weil ich die Sache für zu ernst halte und jeden Effekt sorgfältig ver-
meiden wollte. Die Rede wird Lärm genug machen. Marquard Barth
drückte mir, als ich bei ihm vorbeiging, die Hand und sagte: „Sehr gut.“
Das Urteil des alten groben Parlamentariers ist immer ein Zeichen, daß
die Rede gut war.
Rede des Fürsten Hohenlohe in der Sitzung des Reichstags
vom 15. Mai 1872.
Meine Herren! Die uns heute vorliegenden Petitionen 1) stellen dem
Reichstage eine Aufgabe, die auf den ersten Anblick schwer zu lösen
scheint. Wenn man die Begründung dieser Petitionen liest, wenn man
die Aufzählung der Verdienste der Jesuiten durchgeht, welche sie enthalten,
so wird man fast zu der Annahme geführt, es sei die Aufgabe der Reichs-
tagsmitglieder, in einer Doppelgestalt, halb Geschworenen-Richter halb
Historiker, zu Gericht zu sitzen über die Taten der Jesuiten in den drei
Jahrhunderten ihres Bestehens. Wenn so die Aufgabe läge, so wäre sie
allerdings schwer zu lösen. Allein, meine Herren, so liegt die Sache
keineswegs. Wir haben uns nicht um die Taten der einzelnen Jesuiten
zu kümmern, sondern um den Orden als Gesamtheit, und ich bin
so sehr überzeugt von der Notwendigkeit, diesen Unterschied festzuhalten,
also zu unterscheiden zwischen der Tätigkeit der einzelnen Jesuiten und der
Tendenz des Ordens, daß ich gern bereit bin, dem ersten Herrn Redner
zuzugeben, daß es viele Jesuiten zu allen Zeiten gegeben hat, die sich aus-
gezeichnet haben durch Gelehrsamkeit, durch untadelhaften Lebenswandel,
durch die Uebung aller Werke christlicher Barmherzigkeit. Ja, meine
1) Gegen den Jesuitenorden und für denselben.
Fürst Hohenlohe, Denkwürdigkeiten. I1 6