Aufenthaltsbeschrünkungen. 171
Lit.: Wohlers, Das Reichsges. über d. Unterstützungswohnsitz, Berlin 1880, S. 6
wo die Rechtsprechung des Bundesamtes für das Heimathwesen dargelegt ist. — Rocholl
System des Armenpflegerechts, Berlin 1873, § 46. — v. Flottwell, in Gruchot's Beiträgen,
XI. S. 212. — Block, Dictionnaire de ’administrat. française, Paris 1877, p. 799.
B. König.
Aufenthaltsbeschränkungen. Der Grundsatz, daß jeder selbständige Reichs-
angehörige das Recht hat, innerhalb des Reichsgebietes an jedem Orte sich aufzuhalten
oder niederzulassen, wo er eine Wohnung oder ein Unterkommen sich zu verschaffen im
Stande ist (Freizügigkeitsgesetz v. 1. Novbr. 1867, § 1), erleidet gewisse Ausnahmen
theils aus sicherheitspolizeilichen, theils aus armenpolizeilichen Gründen. I. Sicher-
heitspolizei: die bloße Verdächtigkeit (Bescholtenheit, Bedenklichkeit) eines Reichs-
angehörigen genügt zwar nicht mehr, um denselben einer A. zu unterwerfen, und
alle dahin gehenden landesrechtlichen Bestimmungen find außer Wirksamkeit getreten
(Freizügigkeitsgesetz § 12). Dagegen behält es, insoweit bestrafte Personen nach den
Landesgesetzen (Preuß. Gesetz v. 31. Dezbr. 1852, § 2; K. Sächs. Heimathsgesetz v.
26. Novbr. 1834, 5 17) A. durch die Polizeibehörde unterworfen werden können, dabei
sein Bewenden (Freizügigkeitsgesetz § 3). Doch darf unterlassene Anmeldung eines neu
Anziehenden nur mit Polizeistrafe, dagegen nie mit dem Verluste des Aufenthalts-
rechts geahndet werden (§ 10). Nächstdem sind reichsgesetzlich eine Anzahl von
Fällen festgesetzt worden, in denen A. erfolgen können: a) Solchen Personen, welche
landesrechtlich wegen Bestrafung A. in einem Bundesstaate unterliegen, oder welche
in einem Bundesstaate innerhalb der letzten 12 Monate wegen wiederholten Bettelns
oder wegen wiederholter Landstreicherei bestraft worden sind, kann der Aufenthalt
in jedem andern Bundesstaate von der Landespolizeibehörde verweigert werden (Frei-
zügigkeitsgesetz § 3); b) die höhere Landespolizeibehörde ist befugt, einem von ihr
gemäß § 38 des RStras G. unter Polizeiaufsicht gestellten Individuum den Aufent-
halt an einzelnen bestimmten Orten (also auch, was das Mindere, an einzelnen
Oertlichkeiten, z. B. in Schanklokalen, Theatern, Gerichtssälen rc.) auf die Dauer seiner
Unterstellung unter Polizeiaufsicht zu untersagen (StrafG B. § 39)jch) den Angehörigen
der Gesellschaft des Ordens Jefu oder den ihm verwandten Orden oder ordenähnlichen
Kongregationen kann der Aufenthalt in bestimmten Bezirken oder Orten angewiesen
werden (RGesetz v. 4. Juli 1872, § 2). Das Gleiche kann durch Verfügung der
Landespolizeibehörde gegenüber einem Geistlichen oder anderen Religionsdienern ge-
schehen, welcher durch gerichtliches Urtheil aus seinem Amte entlassen worden ist
und hierauf eine Handlung vornimmt, aus welcher hervorgeht, daß er die Fort-
dauer des ihm entzogenen Amtes beansprucht (RGesetz v. 4. Mai 1874, §.1;
s. auch Näheres im Art. Verbrechen und Vergehen der Religionsdiener).
d) Gegen Personen, welche sich die Agitation für sozialdemokratische, sozialistische
oder kommunistische, auf den Umsturz der bestehenden Staats= oder Gesellschafts-
ordnung gerichtete Bestrebungen zum Geschäfte machen, kann im Falle einer Ver-
urtheilung nach §§ 17—20 des Nesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestre-
bungen der Sozialdemokratie v. 21. Oktober 1878 neben der Freiheitsstrafe auf
die Zulässigkeit der Einschränkung ihres Aufenthalts erkannt und ihnen alsdann der
Aufenthalt in bestimmten Bezirken oder Ortschaften durch die Landespolizeibehörde
versagt werden, jedoch in ihrem Wohnsitze nur dann, wenn sie denselben nicht
bereits seit sechs Monaten inne haben (angez. Gesetz § 22). II. Armenpolizei:
a) die Gemeinde ist zur Abweisung eines Neuanziehenden nur dann befugt, wenn
sie nachweisen kann, daß derselbe nicht hinreichende Kräfte besitzt, um sich und seinen
nicht arbeitsfähigen Angehörigen den nothdürftigen Lebensunterhalt zu verschaffen,
und wenn er solchen weder aus eigenem Vermögen bestreiten kann, noch von einem
dazu verpflichteten Verwandten erhält. Die Landesgesetze können diese Befugniß
der Gemeinden nur beschränken. Besorgniß vor künftiger Verarmung berechtigt
nicht zur Zurückweisung. b) Offenbart sich nach dem Anzuge die Nothwendigkeit
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