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den G. zu beziehen sei, bleibt zweifelhaft. Bei der Unzulänglichkeit der Quellen-
aussprüche bestehen hinsichtlich des Gefahrübergangs sehr verschiedene Theorien, die
sich aber sämmtlich auf zwei Gruppen zurückführen lassen. Die einen betonen das
in der Zumessung enthaltene Moment der Ausscheidung als das entscheidende,
die anderen dasjenige der Erfüllung. Die ersteren, die man sämmtlich als In-
dividualisirungstheorien bezeichnen kann, weichen dann wieder von einander ab,
namentlich insofern als bald noch ein Wissen des Käufers von der Ausscheidung
(Thöl's Apparitionstheorie), bald nur eine Kundgebung der vollzogenen Wahl
(Regelsberger's Wahltheorie) verlangt wird. Die zweite Gruppe hat ihren Aus-
gang in der von Ihering a. a. O. aufsgestellten sog. Lieferungstheorie; die Ge-
fahr soll übergehen, wenn der Verkäufer gethan, was er nach dem Sinne des Ver-
trages zu thun schuldig war, gleich viel ob die Ausscheidung vorauf geht, gleichzeitig
geschieht oder auch nachfolgt. Aehnlich Stintzing, Goose u. a. m. In Wahr-
heit dürften beide Theorien zu kombiniren sein. Die Gefahr muß übergehen, sobald
durch bindend erklärte Wahl der G. sich in einen Spezieskauf verwandelt, sie muß
es aber ebenso auch dann, wenn der Verkäufer die ihm obliegende Leistung bereits
vollzogen hat, sollte dabei auch, z. B. in Folge Uebereinkommens mit dem Käufer,
wie in den Fällen bei Ihering, a. a. O., und Thöl, § 264 A. 1, die Aus-
scheidung unterblieben sein. Als Leistung hat heutzutage beim Distanzkauf auch
die ordnungsmäßige Absendung zu gelten. — Bestritten ist endlich noch die Frage,
ob beim G. der Käufer wegen Fehlerhaftigkeit der gelieferten Sache nur die
Kontraktsklage auf das Interesse bzw. anderweite Lieferung (s. Thöl, § 275; Wind-
scheid, § 394 Nr. 5) oder auch die ädilitischen Rechtsmittel (Vangerow, § 609)
oder nur die letzteren (Goldschmidt, Ztschr. f. H. RN. XIX. S. 118) geltend machen
könne. Das ROG. hat durch Plenarbeschluß die letzteren für prinzipiell zulässig
erklärt; vgl. Goldschmidt, a. a. O.
Lit.: Windscheid Lehrb. d Nr. 2, 5 Do kr. la, § 394 Nr. 5. —. Ihering.
Ahrt f. Dogm., IV — Bek ker, Jahrb. Gem. Rechts s, V. Nr. 17. — Gold
schmidt, H. R., I §§ 62. — Dernburg, Werng. Priv.R., II. 5 28. — Slien über v
Tragung der Gefahr: Thöl, R., §§ 262—264. — Regelsberger, Archiv f. civ. Pr., 49
Nr. 8 und Krit. V.J. Schr., XIII. S. 109— 118, woselbst auch weitere e Literaturangaben. —
Pluestens Flatau, Ueber das Tragen der Gefahr beim Genuskauf, Inaug. Diss., Greslan
Gaupp, Ernst Theodor, 5 31. V. 1796 zu Kl. Gaffron (Schlesien), focht
in den Befreiungskriegen mit, promovirte 1820 in Breslau, a. o. Prof. 1821,
1826 ord. Prof., 1832 Mitgl. d. Oberlandesgerichts, x nach langer Lehrthätigkeit
10. VI. 1859.
Schriften: De nominis pignore (diss.), 1820. — De quatuor foliis antiquiss. ali-
cujus Digest. cod. Neapoli nuper reperti, Vratisl. 1823. — Ueber Deutsche Hünsprünkung.
Stadtverfassung und Weichbild im M.A., Jena 1824. — Das alte Magdeburg. und Hall. R
Bresl. 1826. — De professoribus et medicis eorumque privilegüs in jure Romano, 1827. —
Das Schles. LR., Bresl. 1828. — Miscellen d. Deutschen Rechts, Breslau 1830. — Lex
Frisionum, Vratisl. 1832. — Das alte Gesetz der Thüringer, Breslau 1834. — Recht und
Verfassung der alten Sachsen, Breslau 1837. — Comm. de occupatione et divisione provin-
ciarum agrorumque Romanorum, Vratisl. 1841. — Die German. Ansiedlungen und Land-
theilungen in den Provinzen des Weströmischen Reichs, Breslau 1844. — Die Zukunft des
Deutschen Rechts, Breslau 1847. — Deutsche Stadtrechte d. M. A., Breslau 1851. — Das
Deutsche Volksthum in den Stammländern der Preußischen Monarchie, 1849. — Die Bildung
der ersten Kammer in Preußen, 1852. — German. Abh., Mannh. 1853. — Lex Francorum
Chamavorum oder Kantener Gaurecht, Breslau 1855 (rranz. v. Paul Laboulaye, 1855).—
Von Fehmgerichten“ mit besonderer Rücksicht auf Schlesien, Trexlau 1857. — Ztschr. n. Deutsches
Recht, Bd. XIX. 177. — Fidelter er Jahrbb. 1859, Nr. 8.
Lit.: u n Ztschr. Deutsches Recht, XX. 108—117; Derselbe in der Allg.
Deutsch. Biogr VIII. 425—430
Teichmann.