Full text: Rechtslexikon. Zweiter Band. Gad - Otto. (2.2)

158 Gewalt. 
Zwang, Drohung und Furcht markirt wird, mag es sich dann um die Gültig- 
keit der unter solchem Einfluß vorgenommenen Rechtshandlungen, oder um den Ersatz 
des angerichteten Schadens handeln, wird im Sprachgebrauch der heutigen Gesetze 
und Literatur sehr oft nur durch einen oder zwei der eben angeführten Begriffe be- 
zeichnet. Am meisten üblich ist es, dabei den Zwang in den Vordergrund zu stellen, 
neben welchem dann die anderen Begriffe nur nebenbei, einige derselben zuweilen 
auch gar nicht zur Geltung kommen (Svogl. z3. B. Civilgesetzb. von Bern Satzung 679, 
682 mit 360 und 371; Bündnerisches Civilgesetzb. 5 3821 Nr. 3; Unterholzner, 
Schuldverh., 1. 5829, 38; II. 8§ 389 ff., 360; Burchardi, Wiedereinsetzung, S. 283 ff.; 
Göschen, Vorl., I. S. 248 ff.; II./2 S. 581 ff.; Savigny, III. 5 114; Schlie- 
mann, Zwang; Schloßmann, Zwang; Förster, Theorie und Praxis, I. S. 144, 
511; IV. S. 28; Sintenis, I. S. 186; II. S. 3802; Dernburg, Preuß. Priv. R., 
2. Aufl. I. S. 232 ff.; Keller, Pand., §§ 54, 106, 368, 492; Windscheid, 
§§ 80, 118, 462, 548, 633 mit § 160 u. a.). Andere stellen die Furcht in die 
erste Reihe (Oesterr. BGB. §§ 55, 565, 870 ff., 1487 und bes. das offizielle 
Register; Deutscher Entw. eines Obl. R., Art. 66 ff.; Schweiz. Entw. von 1876 
Art. 41 ff.; Kuntze, Kursus, 2. Aufl. § 458), noch Andere lassen die vier Begriffe 
durcheinanderlaufen und machen höchstens einen Versuch, sie von einander zu scheiden 
(A. LR. I. 4 § 31 ff.; vgl. I. 12 § 23 ff.; II. 1 § 39; I. 7 § 97; II. 20 
§ 518; Glück, IV. S. 167; V. S. 471; Heimbach, in Weiske's Rechtslexikon IX. 
S. 213) — nur bei sehr Wenigen ist die Scheidung in klar bewußter Absicht 
durchgeführt (Brinz, Pand., 1. Aufl. S. 522 ff.; vgl. Sächs. B#B., bef. 
§ 92 ff. 127, 830 ff., 1502 ff., 1593, 2078). Es scheint, als hielten Manche 
eine solche Trennung der vier Begriffe für kein Bedürfniß (Vogt, Entw. eines 
Schweiz. Obl. R., 1877 S. 106: „Die Furcht definiren kann jeder Hausknecht“) — 
schwerlich mit Grund (Savigny, III. S. 100; Unger, Syst., II. S. 44, 
Anm. 2). Wir glauben, in nachstehender Weise scheiden zu sollen: 
G. bedeutet die wirkliche Anwendung physischer Kraft zum Zwecke der Ueber- 
windung eines persönlichen oder sachlichen Widerstandes; sie kann sich also sowol 
gegen die Freiheit des Willens einer Person richten, als auch G.übung an einer 
Sache sein (in letzterer Beziehung geht sie somit weiter, als das crimen vis; Luden, 
in Weiske's Rechtslexikon IV. S. 829, 833 ff.); sie enthält eine „körperliche 
Ueberwältigung“ (Sächs. BGB. §§ 92, 830, 1593, 2078, 584). Widerrechtlich 
angewendet, um einen Anderen in seiner Thätigkeit zu hemmen oder an seinen 
Sachen Eigenmacht zu üben, wird sie zu einem Delikt des Privatrechts, oder viel- 
mehr, da eben G. und Trug die beiden Grundformen sind, auf die sich alle Ver- 
brechen zurückführen lassen (Berner), zu einem bald wesentlichen, bald auch nur zu- 
fällig vorhandenen Thatbestandsmoment einer ganzen Reihe von civil= und oft auch 
strafrechtlich verantwortlich machenden Delikten (Sachbeschädigung, Sachentziehung, 
Besitzverletzung, Körper-, Freiheits-, Ehrverletzung, Selbsthülfe, Verhinderung von 
Handlungen u. s. w. Die ältere Doktrin wollte offenbar dieser Erscheinung gerecht 
werden, indem sie der vis compulsiva eine vis ablativa, expulsiva und turbativy#a 
entgegensetzte, Glück, V. S. 49V0). 
Wo dagegen G. nicht wirklich angewendet, das Uebel nicht wirklich zugefügt, 
sondern nur in Aussicht gestellt wird, da sprechen wir von einer Drohung. Wirkt 
die G. auf den Körper der Person oder Sache, so läßt die Drohung den Körper 
unberührt, will aber das Gleichgewicht des Seelenlebens durch Hervorrufung 
eines Affektes stören. So kann auch die Drohung zum Thatbestandsmoment ver- 
schiedener Delikte werden. Und es ist sehr wol möglich, daß G. und Drohung zu- 
sammenwirken: die in Ausübung begriffene G. überwältigt den Körper, ihre in Aus- 
sicht gestellte Fortsetzung ruft den Affekt hervor. 
Der Zwang ist an sich eine Anwendung von G. oder Drohung; er charakterisirt 
sich aber durch die Tendenz, in welcher G. oder Drohung verübt werden; der Zwang
	        
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