Full text: Rechtslexikon. Zweiter Band. Gad - Otto. (2.2)

170 Gewerbeordnung. 
sichtlich der Frage, von welchen Bedingungen die Befugniß zum Gewerbebetriebe 
abhänge, in jedem Landestheile das Recht maßgebend, das bei der Besitznahme vor- 
gejunden wurde; und während also in einigen dieser Landestheile, z. B. in den- 
jenigen, die zum Königreich Westfalen oder zum Großherzogthum Berg gehört 
hatten, eine fast schrankenlose Gewerbefreiheit herrschte, selbst ohne die Einschränkung 
der Edikte von 1810 und 1811, so bestanden anderswo, z. B. im Herzogthum 
Sachsen, in der Ober= und Niederlausitz, in Neuvorpommern und Rügen die alten 
Zunftverfassungen in einer Ausdehnung fort, wie sie schon im A. LR. nicht mehr 
anerkannt waren. Die bei Gelegenheit der Reform des gesammten Preuß. Steuer- 
systems 1818—1820 erfolgte Umgestaltung der Gewerbesteuer (s. diesen Art.) 
stellte eine Ausgleichung dieser Gegensätze wenigstens in Aussicht, indem der § 37 
des Ges. v. 30. Mai 1820 wegen Entrichtung der Gewerbesteuer festsetzte: „Die 
Gesetze, welche die Berechtigung zum Gewerbe bisher in einzelnen Landestheilen ver- 
schiedentlich bestimmt haben, sollen einer Revision unterworfen und, wo es nöthig, 
verbessert, ergänzt oder durch neue Anordnungen ersetzt werden.“ Zunächst begnügte 
man sich jedoch damit, dem dringendsten praktischen Bedürfnisse durch eine Reihe 
von Einzelbestimmungen Abhülfe zu schaffen. Es erging in dieser Beziehung das 
Regulativ vom 28. April 1824 über den Gewerbebetrieb im Umherziehen, mehrere 
Verordnungen über den Kleinhandel mit Getränken, über die Anlage von Dampf- 
maschinen, das Regulativ vom 9. März 1839 über die Beschäftigung der Kinder 
in den Fabriken. Die Gesammtrevision der G. begann dann im Jahre 1835 mit 
den Arbeiten der unter dem Vorsitze von J. G. Hoffmann niedergesetzten Immediat- 
Kommission. Es folgten über den von dieser Kommission vorgelegten Entwurf die 
Berathungen seitens der Regierungen, des Staatsministeriums, der Provinzialstände, 
endlich des Staatsraths, sowol in den Abtheilungen, wie im Plenum; das Resultat 
war die Allgemeine G. vom 17. Jan. 1845. 
4) Die G. vom 17. Jan. 1845 dehnte nun im Großen und Ganzen den in 
den älteren Landestheilen seit 1810 und 1811 bestehenden Zustand von Gewerbe- 
freiheit auf den ganzen Staat aus. Demgemäß beseitigte sie alle in einzelnen Landes- 
theilen noch bestehenden Beschränkungen des freien Betriebes, besonders alle sogen. 
Erxklusivrechte, alle Realberechtigungen, alle Berechtigungen zur Ertheilung gewerb- 
licher Konzessionen, alle Zwangs= und Bannrechte, die Beschränkung gewisser Gewerbe 
auf die Städte, das Verbot gleichzeitigen Betriebes mehrerer Gewerbe, alle gewerb- 
lichen Abgaben, mit Ausnahme der an den Staat zu entrichtenden Gewerbesteuer, 
und forderte als Bedingung eines selbständigen Gewerbebetriebes in der Regel nur 
Dispositionsfähigkeit und festen Wohnsitz, indem sie nur im öffentlichen Interesse 
gewisse Beschränkungen und Bedingungen theils für sog. gefährliche Anlagen, theils 
für gewisse Gewerbe, bezüglich deren der Nachweis technischer Oualifikation im 
dringendsten Interesse des Publikums liegt, bestehen ließ. Während aber die Gesetz- 
gebung von 1810 u. 1811 die Zünfte zwar keineswegs verboten, aber doch ignorirt 
hatte, so machte die G. von 1845 den Versuch, die Ansprüche an eine Organisation der 
Arbeit auf den Gebieten des Kleinbetriebes mit den Forderungen der Gewerbefreiheit 
in Einklang zu bringen. Ohne also den Innungen besondere gewerbliche Vortheile, 
oder gar Zwang zum Eintritt in dieselben beizulegen, wurden die schon vorhandenen 
und die noch sich bildenden Innungen als freie Genossenschaften, zu Organen gewerb- 
licher Selbstverwaltung, behufs Förderung der gewerblichen Interessen erhoben. 
5) Gegen die Durchführung der Gewerbefreiheit hatten sich schon früher 
oppositionelle Regungen geltend gemacht seitens einzelner Glieder des Handwerker- 
standes, seitens städtischer Kommunalbehörden und einzelner Provinziallandtage. 
Diese Gegenbestrebungen fanden in den Bewegungen von 1848 einen sehr entschiedenen 
Ausdruck und festere Organisation. Insbesondere tagte in der Zeit vom 15. Juli 
bis 18. August 1848 in Frankfurt a M. ein sog. Handwerkerparlament. Der Ent- 
wurf einer Deutschen G., der von dieser Versammlung aufgestellt wurde, enthielt
	        
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