228 Hastpflicht.
Haftpflicht. Die moderne Entwickelung der Industrie und des Verkehrs-
wesens, insbesondere die Anwendung von Maschinen und der Massenbetrieb haben
Gefahren für Leben und Gesundheit herbeigeführt, denen gegenüber die gemeinrecht-
lichen Normen sowol des materiellen CEiv. R., wie auch des Prozesses hinsichtlich des
Schadensersatzes nicht mehr ausreichen.
Unter dem Eindrucke schnell auf einander folgender Unglücksfälle, namentlich
beim Betriebe von Eisenbahnen und Bergwerken (die Katastrophe im Plauenschen
Grunde 1869 hatte 296 Bergleuten das Leben gekostet) wurde demgemäß mit dem
ersten Deutschen Gesammtreichstage, nicht ohne den lebhaften Widerspruch juristischer
und volkswirthschaftlicher Anschauungen, und nur nach zahlreichen Amendirungen,
das Gesetz vom 7. Juni 1871, betr. die Verbindlichkeit zum Schadensersatz für die
bei dem Betrieb von Eisenbahnen, Bergwerken ac. herbeigeführten Tödtungen und
Körperverletzungen zu Stande gebracht.
Die Verpflichtung zum Schadensersatz nach Maßgabe dieses Gesetzes bezieht
sich im Allgemeinen auf Eisenbahnen, Bergwerke, Steinbrüche, Gräbereien und
Fabriken, nicht also auf sonstige gewerbliche Anlagen, insbesondere nicht auf Bauunter-
nehmungen, auf Seeschiffahrt. Die Haftung setzt zwar stets ein VBerschulden beim
Betriebe voraus, sie gestaltet sich aber wesentlich verschieden bei Eisenbahnen einer-
seits, und bei Bergwerken, Fabriken rc. andererseits; denn während bei den letzteren
Etablissements der Betriebsunternehmer nur für das Verschulden eines Bevollmäch-
tigten, Repräsentanten, oder einer sonstigen zur Leitung und Beaufsichtigung an-
genommenen Person in Anspruch genommen werden kann, nicht aber für das Ver-
schulden anderer beim Unternehmen beschäftigter ausführender Kräfte, insbesondere
nicht für das Verschulden einfacher Arbeiter, so ist dagegen die Haftung des Unter-
nehmers einer Eisenbahn nach dieser Richtung hin eine absolute; und während
ferner der Beweis der Verschuldung bei Schadensansprüchen gegen Bergwerke und
Fabriken zum Klagfundamente gehört, so ist bei Schadensansprüchen gegen Eisen-
bahnen dem Beklagten der Beweis auferlegt, daß der Unfall durch höhere Gewalt
oder durch eigenes Verschulden des Getödteten und Verletzten verursacht sei. Die
Haftung bezieht sich übrigens sowol bei Fabriken 2c., wie auch bei Eisenbahnen
nicht blos auf Solche, die bei dem Unternehmen selbst, sei es als Arbeiter oder
als Reisende direkt betheiligt waren, sondern auch auf unbetheiligte Dritte, sofern
nur der Betrieb direkt oder indirekt die Ursache der Tödtung oder Körperverletzung
gewesen ist.
Der Schadensersatz umfaßt im Falle der Körperverletzung den Ersatz der
Heilungskosten und des Vermögensnachtheils, welchen der Verletzte durch eine in
Folge der Verletzung eingetretene zeitweise oder dauernde Erwerbsunfähigkeit oder
Verminderung der Erwerbsfähigkeit erlitten hat, wobei man zweifelhaft sein kann,
ob Demjenigen, der ein Erwerbsgeschäft überhaupt nicht betreibt, eine derartige Ent-
schädigung zukommt, während sie zweifellos an Denjenigen geleistet werden muß,
der neben seinem Erwerbe hinreichendes eigenes Vermögen besitzt. Der Schadens-
ersatz im Falle der Tödtung umfaßt zunächst gleichfalls die Kosten der versuchten
Heilung, die Kosten der Beerdigung, sowie den Vermögensnachtheil, welchen der
Getödtete während der Krankheit durch Erwerbsunfähigkeit oder Verminderung der
Erwerbsfähigkeit erlitten hat, wofür auf die obigen Bemerkungen zu verweisen ist;
darüber hinaus haben die Erben als solche keinerlei Ersatzanspruch, sondern nur
Diejenigen, welche ein gesetzliches Recht darauf hatten, von dem Getödteten alimentirt
zu werden, sofern das Bedürfniß der Alimentation noch fortdauert und nicht die
Alimentationspflicht auf eine andere solvente Person übergeht. War jedoch der Ge-
tödtete oder Verletzte, unter Mitleistung von Prämien oder anderen Beiträgen, durch
den Betriebsunternehmer bei einer Versicherungsanstalt, Knappschafts-, Unter-
stützungs-, Kranken= oder ähnlichen Kassen gegen den Unfall versichert, so ist die
Leistung der Letzteren an die Ersatzberechtigten auf die Entschädigung einzurechnen,