Handelsgerichte. 241
ferner hinzu, daß der schleppende Gang des schriftlich geheimen Verfahrens den An-
sorderungen des Handels unmöglich genügen konnte und daß die künstliche Beweis-
theorie dem Geiste desselben ebenfalls widersprach.
Diese Umstände bewirkten, daß der Handelsstand die gelehrte Jurisprudenz
und ihre Gerichtshöfe mit Mißtrauen betrachtete und seine Gunst vielmehr den mit
Berufsgenossen besetzten Schiedsgerichten zuwandte. Wo solche nicht vorhanden
waren, setzten vielfach die Könige und Landesherren eigene Behörden ein, die
namentlich für Meß-= und Marktsachen die Gewähr einer prompten Justiz darzu-
bieten schienen.
Im Ganzen haben die hier hervorgehobenen Momente in Italien, Frankreich
und Deutschland zu denselben Erscheinungen geführt. In Deutschland insbesondere
sind schon seit lange Kommerz-, Merkantil-, Wechsel-, Meß-, Markt-, Schrannen-,
Börsengerichte an vielen Handelsplätzen nach den angedeuteten Richtungen wirksam
gewesen. Noch deutlicher läßt sich diese Entwickelung in Frankreich nachweisen.
Die heutigen Französischen H. sind nach der Darstellung von Creizenach aus
einer Vereinigung folgender Elemente hervorgegangen: 1) den Meßgerichten. Diese
waren zweierlei Art: a) die Konsulate: Schiedsgerichte der Landsmannschaften unter
den Meßbesuchern, die sich hierdurch die Anwendung des einheimischen Rechts bei
ihren auf der Messe auszutragenden Streitigkeiten sicherten; b) die eigentlichen Meß-
gerichte, die von den Königen im Interesse des Meßverkehrs eingesetzt waren. Hier
kam es vorzugsweise auf eine schnelle Prozedur und eine sofortige Vollstreckung an,
damit die Unbequemlichkeit, den Schuldner in der Ferne verfolgen zu müssen (die
früher noch weit drückender empfunden wurde als gegenwärtig), vermieden würde.
Die Art des Verfahrens hatte viel Aehnlichkeit mit dem heutigen Wechselprozeß,
und es ist anzunehmen, daß die Wechselstrenge, soweit sie in prozessualischer Natur
ist, hauptsächlich den Meßgerichten ihren Ursprung verdankt; 2) den Gilde= oder
Innungsgerichten (juge et consuls). Dies waren die alten vorerwähnten Standes-
gerichte, also ursprünglich Gerichte für die Mitglieder der Gilde; ihre Kompetenz
wurde aber schon im 16. Jahrh. auch auf Klagen gegen Nichtgenossen ausgedehnt.
Ihre Thätigkeit ging indeß nur bis zum Urtheil, die Vollstreckung lag nicht ihnen
ob, sondern war Sache der ordentlichen Gerichte, bei denen daher auch alle in der
Exekutionsinstanz hervortretenden Inzidentfragen erledigt wurden; 3) den Admirali-
täten, ursprünglich Verwaltungsbehörden in Seehäfen, die dann aber auch mit
Jurisdiktion in Seesachen ausgestattet wurden. Eine Verschmelzung der zu 1 und
2 erwähnten Gerichte fand bereits durch die Ordonnanz von 1673 statt, die
Admiralitäten dagegen sind erst durch die Französische Revolution beseitigt und mit
den neu errichteten H. vereinigt worden.
B. Heutiges Recht. Nicht alle handeltreibenden Nationen besitzen H.
England, die Nordamerikanischen Freistaaten, Holland behelfen sich (abgesehen von
den nur uneigentlich hierher gehörigen Admiralitätshöfen in den ersten beiden
Staaten) mit ihren ordentlichen Gerichten auch in Handelssachen. Dagegen haben
die H. auf der Grundlage des Code de comm. in den meisten romanischen Ländern
Verbreitung gefunden. Die H#GB. von Spanien, Portugal, Italien, Brasilien u. A.
sind dem Beispiel des Französ. HGB. gefolgt (in Spanien sind dieselben im Jahre
1868 beseitigt worden), ebenso finden sich H. in Dänemark, Rußland, Griechenland,
Oesterreich, Ungarn. In Deutschland bestanden vor Einführung des Deutschen G.
H. in den Gebieten des Französ. Rechts, ebenso in Sachsen, Braunschweig, Hamburg,
Bremen, Bayern, Württemberg, Baden, nicht dagegen in dem größten Theil der
Preußischen Monarchie, wie in auch einigen anderen Norddeutschen Staaten. Das
GVG. kennt zwar keine besonderen H., wol aber als einen Ersatz hierfür die mit
den Landgerichten organisch verbundenen Kammern für Handelssachen, welche
von der Landesjustizverwaltung je nach dem vorhandenen Bedürfniß für den Bezirk
v. Holtzendorff, Enc. II. Rechtslexikon II. 3. Aufl. 16