Handelsgesellschaft. 249
von Gesellschaftsgeschäften vornehmen konnte. Die Ausbildung der Firma insbeson-
dere, die sich zum selbständigen Namen der Gesellschaft entwickelt hatte, führte dann
dazu, der H. nach Außen eine selbständigere Stellung zu gewähren. Man sprach
von ihr als von einem corpus mysticum, ohne allerdings alle Konfequenzen einer
juristischen Person aus ihr zu ziehen.
III. In der modernen Entwickelung folgte das Französ. R. der mitteralterlichen
Auffassung. Man behandelt die sociétés en nom collectif als étres morales; ebenso
das Belgische Recht (loi sur les sociétés vom 18. Mai 1873, Art. 2), das Italienische
und Schottische Recht.
Noch der Preuß. Entwurf zum HG#. betrachtete alle H. als juristische Per-
sonen. Durch Verwerfung der in den Art. 85—90 des Preuß. Entwurfs resp.
84—85 des Entwurfs erster Lesung enthaltenen allgemeinen Grundsätze über H.,
wurde auf den Nürnberger Konferenzen der Jurisprudenz überlassen, die richtige
Konstruktion der rechtlichen Natur der offenen H. zu finden. Die Kontroversen
hierüber haben indessen noch keineswegs zu einem einheitlichen Resultate geführt.
Während noch immer die Einen (Endemann, Anschütz, Brinkmann,
Lutz, Gelpcke, Ladenburg) in der offenen H. eine „juristische Person“ schlechthin
oder wenigstens (wie Dahn, Beseler) eine „relative juristische Person“, welche
nach Außen juristische Person, nach Innen Sozietät ist, erblicken, wird sie von Anderen
für eine, wenn auch nur modifizirte, Römische Sozietät gehalten (Thöl, Eichhorn,
Mittermaier, Gerber, Keyßner, Auerbach). Eine Mittelstellung nehmen
die ein, welche die offene H. aus dem Prinzip der deutschrechtlichen Genossenschaft
(Bluntschli) oder der Gesammthand (Kuntze) erklären. Die Judikatur des
OTrib. war schwankend, das ROpP. hat dagegen in einer konstanten Praxis das
Prinzip der juristischen Person verworfen, z. B. in den Entsch. Bd. II. S. 39;
Bd. IX. S. 17; Bd. XlII. S. 261; Bd. XXI. S. 129.
Die offene H. ist eine aus Utilitätsgründen modifizirte Sozietät. Allerdings
lassen sich eine Reihe von Vorschriften, insbesondere die Art. 91, 93, 95, 97,
106—109, 111, 113, 114, 119—123, 126, 130—133, am bequemsten aus
der Natur der juristischen Person erklären. Die Sozietätsnatur der offenen H. tritt
indessen in zahlreichen Rechtssätzen hervor; insbesondere ist sie nicht auf eine unbe-
stimmte und wechselnde Mitgliederzahl angelegt, vielmehr prinzipiell von dem Willen
und dem Leben der einzelnen Gesellschafter abhängig, es herrscht bei ihr nicht das
Mehrheitssystem wie bei der juristischen Person, sondern das Einstimmigkeitsprinzip,
die Gesellschafter haften nicht nur mit dem Gesellschaftsvermögen, sondern daneben
nach freier Wahl der Gläubiger mit ihrem Privatvermögen. Freilich hat die moderne
Entwickelung das Prinzip der Römischen Sozietät erheblich erweitert, indem man das
Privatinteresse der einzelnen Gesellschafter vielfach den Gesellschaftszwecken unter-
ordnete. Die hierdurch bedingten Modifikationen der Sozietät äußern sich ins-
besondere:
1) in der eigenthümlichen rechtlichen Gestaltung des Gesellschaftsvermögens,
welches als ein den Gesellschaften gehöriges juristisches Ganzes behandelt wird, das
nach der Vereinbarung der Gesellschafter zu den Gesellschaftszwecken bestimmt und
deshalb der Privatdisposition der einzelnen Eeellschafter entzogen ist (Entsch. des
ROG. Bd. II. S. 39, 145, 151, 154; Bd. V. S. 204; Bd. VIII. S. 38, 41;
Bd. IX. S. 17, 429; Bd. XII. S. 261; Rd. XXI. S. 129; Bd. XXV. S. 161);
2) in I#r Solidarhaft der einzelnen Gesellschafter Dritten gegenüber, welche im
Widerspruch steht mit dem Römischen Satz: nomina sunt ipso iure divisa;
3) in der Befugniß der einzelnen Gesellschafter, die Gesammtheit der Gesell-
schafter als solche zu vertreten. Diese Befugniß ist eine Konsequenz des im Mittel-
alter ausgebildeten, dem Röm. R. fremden Prinzips der freien Stellvertretung;
4) in dem Bestreben, die offene H. trotz eines theilweisen Wechsels der Per-
sonen fortbestehen zu lassen.