Full text: Rechtslexikon. Zweiter Band. Gad - Otto. (2.2)

Hauptverhandlung. 277 
hängige Anklage zu vertreten) stattfinden. Die Parteien haben das Recht, jeden 
Zwischenfall des Verfahrens von ihrem Standpunkte aus zu betrachten und zum 
Gegenstande von Anträgen zu machen; es muß ihnen also auch volle Kenntniß von 
demselben und Gelegenheit zu Anträgen gegeben, und es darf nicht eine Partei an- 
gehört, der anderen direkt oder indirekt das Wort abgeschnitten werden. So gewiß 
die Parteien in allen Fällen, wo das Gesetz nicht etwas von ihrer Zustimmung ab- 
hängig macht, auf Anträge beschränkt sind, über welche das Gericht in freier 
Würdigung der dafür vorgebrachten Gründe zu entscheiden hat, und so nothwendig 
es sein mag, gegen frivole oder chikanöse Anläufe rasch und entschieden Stellung zu 
nehmen, so nothwendig ist es andererfeits, daß das Gericht, wenn es auch Anträge 
nur bei bedeutungsvolleren oder verwickelteren Prozeßlagen ausdrücklich hervor- 
ruft, alles vermeidet, was den Anschein annimmt, als sei die eine oder die andere 
Partei in diesem ihrem Prozeßrecht beeinträchtigt. Aus dieser Pflicht des Gerichtes, 
beide Parteien gleichmäßig anzuhören, folgt dann aber auch dessen Pflicht und Recht, 
die vorgebrachten Anträge zu würdigen, darüber zu entscheiden und die Entscheidung 
zu begründen. Diese Incidentalbeschlüsse sind es hauptsächlich, in welchen 
sich die wichtigeren Zwischenfälle des Verfahrens spiegeln, durch welche die Möglich-- 
keit geboten wird, daß die Parteien ihre Klagen über Verletzung der Prozeßrechte 
substantiiren und das höhere Gericht die Berechtigung solcher Klagen prüft. Sie 
bilden gewissermaßen Knotenpunkte des sonst gleichmäßig und meist spurlos ver- 
laufenden mündlichen Verfahrens, Ansatzpunkte des schriftlichen Elementes, während 
alles Andere späterer Ueberprüfung entzogen bleiben muß. Ihre Bedeutung ist daher 
eine sehr große, was nicht ausschließt, daß zwischen den einzelnen Anträgen ein 
erheblicher Unterschied obwalten und das Gericht Mittel finden muß, das Verfahren 
vor allzugroßer Verschleppung durch häufig unnöthige Zwischenfälle zu bewahren. 
Als Leitstern muß ihm aber stets vor Augen stehen: seine eigene Pflicht, für die sach- 
liche Lösung der Prozeßaufgaben zu sorgen, eine Pflicht, von welcher es selbst durch 
Uebereinstimmung der Parteien nur ausnahmsweise entbunden wird, und die An- 
erkennung der selbständigen Prozeßstellung der Parteien, aber auch die der Noth- 
wendigkeit, die Einhaltung der gegenfeitigen Stellung zu fordern und durchzusetzen. 
Hieraus ergiebt sich für die 
III. Gegenseitige Stellung der Personen in der H., daß sehr 
genau zwischen der äußerlichen Stellung der Personen und den daraus ab- 
geleiteten Ansprüchen, und den Konsequenzen der Prozeßstellung unterschieden 
werden muß. Die erstere wird auf das Aeußerliche der gegenseitigen Berührungen 
Einfluß üben; so wenig der Vertheidiger in dieser Hinsicht mit dem Angeklagten 
gleichgestellt ist, so wenig kann diese Gleichstellung dem Ankläger zugemuthet werden 
und auch zwischen der äußerlichen Stellung des Staatsanwaltes und der des Ver- 
theidigers besteht ein unverkennbarer Unterschied. Die Lebensstellung dieser beiden 
sordert gewisse Nüancen in der Behandlung durch das Gericht gerade sowie in dieser 
Hinsicht die Sachverständigen anders als die Zeugen stehen können u. dgl. Aber 
alles Das betrifft nur das Aeußerliche. Soweit es sich um Lösung der Prozeß- 
aufgaben handelt, muß das Prinzip des kontradiktorischen Verfahrens unbedingt zur 
Geltung gebracht werden: gleichmäßige Einwirkung zweier Parteien 
unter der maßgebenden Leitung des Gerichtes, welches dafür zu sorgen 
hat, daß die Vertreter der Anklage wie der Vertheidigung gegenseitig ihre Rechte 
achten und die durch ihre Prozeßstellung ihnen vorgezeichneten Grenzen einhalten. 
In dieser Hinsicht besteht insbesondere die Verpflichtung zu würdiger anständiger 
gegenseitiger Behandlung, zur Vermeidung alles Dessen, was Unordnung in den Gang 
des Verfahrens bringen könnte, zur Unterlassung jeder Verletzung der Beweisgrund- 
sätze durch thatsächliche Angaben, welche Anspruch darauf machen, im Vertrauen auf 
die Person des Sprechenden geglaubt zu werden, so daß eine Vermischung zwischen 
der Stellung eines Zeugen und des Trägers einer Prozeßrolle eintritt u. dgl. 
 
	        
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