Hauptverhandlung. 281
blos die mündliche Vernehmung, sondern auch die Aussage des Ausgebliebenen für
entbehrlich erkannt wird. Der nächste Schritt ist die Darlegung des Gegenstandes
der Verhandlung, der Anklage. Dieser Gegenstand ist bis dahin nur dem Vor-
sitzenden, dem Staatsanwalt und wenn ein Vertheidiger erschien, auch diesem in
einer vollkommen genügenden Weise bekannt geworden; die Geschworenen sollen gar
nichts davon wissen und bei den Mitgliedern des Gerichtes ist höchstens eine gelegentliche
und zufällige Kenntnißnahme von früheren Stadien des Verfahrens her voraus-
zusetzen. (Bezüglich ihrer Theilnahme an dem Beschluß über Eröffnung des
Hauptverfahrens (. diesen Art.) Dem Angeklagten muß allerdings von dem
Inhalte der Anklage schon vorher genaue Kenntniß verschafft worden sein; allein es
bleibt Pflicht des Gerichtes, sich davon zu überzeugen, ob er wirklich genau weiß
und versteht, was gegen ihn vorgebracht ist. Alle diese Personen sollen dem Be-
weisverfahren (lund der Vernehmung des Angeklagten) mit Aufmerksamkeit und
augenblicklicher Auffassung der Bedeutung jedes gesprochenen Wortes folgen. Dazu
ist erforderlich, daß sie nicht blos den Gegenstand der Anklage im Allgemeinen
kennen, sondern den ganzen Hergang, wie er sich zugetragen haben müßte, wenn die
Anklage begründet sein soll, ja daß sie über das Beweissystem der Anklage und
womöglich auch der Vertheidigung möglichst bald eine Uebersicht erlangen. Nun
gab allerdings das im Französischen Schwurgerichtsprozeß zu diesem Zwecke Ein-
geführte Anlaß zu schweren Klagen. Nach dieser Einrichtung hat die H. eine
doppelte Grundlage: das Verweisungserkenntniß, das in Verbindung mit
der darin enthaltenen Begründung der sog. ordonnance de prise de corps eine
Darstellung des Sachverhaltes, wenngleich zerschnitten in mit „considérant“ be-
ginnenden Absätzen, enthält, und die Anklageschrift (Acte d'accusation). Die
letztere, das Werk der Staatsanwaltschaft und erst nach dem Verweisungserkenntniß
abgefaßt, soll sich in ihrer Schlußformel (resumé) genau an das Verweisungs-
erkenntniß halten, ist aber in ihrem sonstigen Inhalte (exposé, narré) ganz dem
von Niemand kontrolirten Ermessen der Staatsanwaltschaft anheimgestellt. Die
Möglichkeit einseitiger, leidenschaftlicher Darstellung der Ergebnisse der Vorunter-
suchung ist nicht ausgeschlossen, wenngleich nicht behauptet werden kann, daß es an
ernsten Abmahnungen hiervon in Frankreich fehle. Wenn nun die beiden gedachten
Aktenstücke verlesen werden und die Staatsanwaltschaft noch dazu berechtigt ist, eine
weitere mündliche Entwickelung der Anklage folgen zu lassen, auf welche das leiden-
schaftliche Französische Naturell und ein gewisser Zug zur Deklamation auch nicht
selten Einfluß üben, so ist das freilich in vieler Hinsicht bedenklich. Das Schlimmste
ist die Zweideutigkeit bezüglich der Grundlage der Verhandlung; die Anklage ist der
Sache nach nicht das Werk der Staatsanwaltschaft, sondern von einem hohen Ge-
richtshof beschlossen und wie sich die Staatsanwaltschaft mit dem Beschluß identifi-
ziren muß, liegt die Identifizirung ihrer Ausführungen mit denen des Gerichtes
ganz nahe, und kann eine bedenkliche Voreingenommenheit zum Nachtheil des An-
geklagten hervorrufen. Die neuesten StrafPP O. suchen dagegen Abhülfe. In der
Oesterreichischen ist dies dadurch geschehen, daß die Anklage der Staats-
anwaltschaft als alleinige Grundlage der H. hingestellt wird. Die Anklageschrift
muß zunächst darauf berechnet sein, die Versetzung in Anklagestand zu erwirken;
erhebt der Beschuldigte Einspruch gegen diefelbe, so hat darüber das Oberlandes-
gericht zu entscheiden, und dieses wäre, wenn bei der Abfassung der Anklageschrift
begen die gesetzlichen Vorschriften verstoßen würde, in der Lage, die Entscheidung in
der Sache noch auszusetzen und die Anklageschrift zur Befeitigung des Form-
gebrechens vorläufig zurückzuweisen, in welchem Falle der Ankläger eine neue An-
klageschrift zu überreichen hat (§ 211 der StrafP O.). Nur die dieser Erprobung
unterworfene Anklageschrift, aber kein Gerichtsbeschluß (außer ein solcher, wodurch
einzelne Anklagepunkte beseitigt werden) wird in der H. verlesen; mündliche Ent-
wickelung der Anklage ist dem Ankläger nicht gestatttt. — Nach der Deutschen