282 Hauptverhandlung.
Straf #lO. dagegen dient die Anklageschrift der Regel nach dazu, dem Beschuldigten
und dem Gericht, welches über die Versetzung in Anklagestand zu entscheiden hat,
eine Uebersicht der Ergebnisse des Vorverfahrens, der erhobenen Anschuldigung und
der Gründe, auf welche sie sich stützt, zu bieten; ausnahmsweise folgt sie dem Be-
schlusse des Gerichtes nach und dann vertritt sie die Stelle der Begründung dieses
Beschlusses dem Angeklagten und nur diesem gegenüber. In beiden Fällen aber
kommt sie in der H. nicht zum Vorschein; in dieser ist nur der Beschluß des Ge-
richtes zu verlesen, welcher nach § 209 (vgl. d. Art. Eröffnung des Hauptver-
fahrens) eine Erzählung des den Gegenstand der Anklage bildenden Herganges so
wenig enthalten darf, als eine Hinweisung auf die Beweisführung, wol aber die
sog. Anklageformel mit der Erklärung des Gerichtes, daß der Angeklagte der darin
begeichneten Handlung „hinreichend verdächtig“ sei. Es muß in der That bezweifelt
werden, ob dies genüge, um den an der H. Betheiligten die Verfolgung des Ganges
derselben zu ermöglichen; und es ist daher bereits (von v. Schwarze und Löweh die
Ansicht ausgesprochen worden, daß es nothwendig und daher auch statthaft sein
werde, daß der Vorsitzende der Verlesung des Gerichtsbeschlusses „eine mündliche
Erläuterung des Beschlusses“ und „eine Hinweisung auf die Richtung des Beweis-
verfahrens“ folgen lasse.
VI. Die Vernehmung des Angeklagten bildet seit langer Zeit einen
der wichtigsten Streitpunkte de lege ferenda. Hier ist der Punkt, wo das Englische
R. und die Französische — dem alten, unserem gemeinen Deutschen Rechte analogen
Inquisitionsprozeß entsprechende — Praxis schroffe Gegensätze zeigen. In Eng-
land ist nicht blos theoretisch die inquisitorische Vernehmung des Beschuldigten und
Angeklagten ausgeschlossen, sondern wird auch praktisch kein Versuch gemacht, den
Angeklagten zum Sprechen in der H. zu bringen; — der Beschuldigte wird in der
Voruntersuchung ausdrücklich darüber belehrt, er sei nicht nur nicht schuldig, Er-
klärungen abzugeben, sondern habe sich gegenwärtig zu halten, daß solche Erklä-
rungen, wenn er sie abgebe, zu Protokoll genommen würden und gegen ihn als
Beweismittel verwendet werden könnten; — in der H. wird, nachdem der Ange-
klagte die Frage, ob er schuldig sei, verneinend beantwortet hat, an ihn keine weitere
Frage gestellt, und er vielmehr von einem Versuch zu reden, theils durch Ab-
mahnungen, theils dadurch abgehalten, daß ihm nicht gestattet wird, neben und
speziell vor einem Vertheidiger zu sprechen. Dies beruht auf der in England von
den Zeiten des altgermanischen Prozesses her (unterbrochen nur durch verhältniß-
mäßig vereinzelte und gesetzlich nie anerkannte Torturanwendungen) festgehaltenen
Tradition, daß der Angeklagte berechtigt, nicht verpflichtet sei, seine Unschuld zu
beweisen, daß er auf Freisprechung ein Recht habe, wenn nicht gegen ihn genügender
Beweis ohne seine Mitwirkung (denn Niemand sei verpflichtet, gegen sich selbst
Zeugniß abzulegen) erbracht werde. Eben darum liegt hierin nur eine Konsequenz
des strengen Anklagegrundsatzes und der dadurch bedingten passiven Haltung des
Richters. Dazu kommt, daß das Englische Beweisrecht fast ganz in den Zeugen-
beweis aufgeht und ein unbeeidigtes Zeugniß nicht zugelassen wird. Bei der regen
Wechselwirkung des Englischen Civil= und Straf Prz. war aber vorauszusehen, daß
die seit einer Reihe von Jahren mit Erfolg durchgeführte Vernehmung der Parteien
im Civil Prz. auf den Straf Prz. hinüber wirken werde. In der That finden wir in
dem neuesten Entwurfe eines Kriminalcodex für England (in Verbindung mit dem
Bericht der königl. Kommission vom 12. Juni 1878) die Anregung zu einer be-
deutungsvollen Aenderung. Es war schon seit langer Zeit angeregt und auch in
einem früheren Stadium der Arbeit vorgeschlagen worden, dem Angeklagten zu ge-
statten, in der H. unbeeidigt eine Darstellung des Vorfalles abzugeben (statement).
Der neueste Entwurf (Section 523) gestattet der angeklagten und der mit ihr ver-
heiratheten Person als Entlastungszeuge bei der H. aufzutreten; eine Vorrufung als
Zeuge für die Anklage ist nicht zulässig; wol aber ist der einmal vernommene