Full text: Rechtslexikon. Zweiter Band. Gad - Otto. (2.2)

Hauptverhandlung. 283 
„Entlastungszeuge“ dem gewöhnlichen Kreuzverhöre (mit einer nicht genügend prä- 
zisirten, aber wol auf die Ausschließung von Fragen über andere strafbare Hand- 
lungen des Angeklagten berechneten Einschränkung) unterworfen. So sonderbar es 
ist, so läßt der Bericht kaum einen Zweifel darüber zu, daß diese „Entlastungs- 
zeugen“ beeidigt werden sollen. „Wir sind über die Zweckmäßigkeit dieser Aen- 
derung nicht einer Meinung . Im Ganzen aber glauben wir, daß wenn dem 
Angeklagten gestattet wird, Zeugniß für sich selbst abzulegen, er dies, abgesehen von 
einiger Beschränkung des Kreuzverhöres, unter denselben Bedingungen zu thun habe, 
wie andere Zeugen.“ — Diese neueste legislative Anregung haben wir ausführlicher 
erwähnt, weil sie geeignet ist, die Kehrseite ins Licht zu setzen, welche angesichts der 
Französischen Praxis, für welche eigentlich das Gesetz keinen ausreichenden Anhalt 
bietet, leicht übersehen wird. Die letztere besteht in einem förmlichen Kampf zwischen 
dem Vorsitzenden und dem Angeklagten, welcher eigentlich alle Prinzipien des 
modernen Straf Prz. verleugnet. Der Angeklagte wird dadurch aus einem Subjekt 
ein Objekt des Prozesses. — aus dem Richter, der sich die Unbefangenheit bis 
ans Ende bewahren soll, wird ein mit bestimmten Behauptungen auftretender, eine 
festgebildete Meinung vertretender Gegner, — die gesammten Ergebnisse der schrift- 
lichen Voruntersuchung werden in sehr bestimmten Behauptungen über den Inhalt 
der Akten (und zwar ohne die eine Kontrole der anderen Urtheiler ermöglichende 
Verlesung derselben) in der Form des Vorhaltes vorgebracht. Es gewährt aber in 
diesem Stadium der Verhandlung das Verhör auch selten einen Nutzen für die Auf- 
klärung der Sache, wirkt oft verwirrend, erregt die Leidenschaften und lenkt von den 
eigentlichen Beweisgegenständen ab. — Es ward daher bei den legislativen Erör= 
terungen, welche der Feststellung der neuesten Straf P O. vorangingen, eine die Wie- 
derkehr solcher Vorgänge verhindernde Aenderung für nothwendig erachtet, während 
andererseits die Meinung durchdrang, daß eine ganz passive Rolle des Angeklagten 
ihn wichtiger Vertheidigungsbehelfe berauben könnte, und daß nicht immer — zumal 
wenn ihm kein Vertheidiger zur Seite steht — darauf gerechnet werden könne, er 
werde selbst erkennen, was einer Aufklärung bedürfe. Namentlich bei den Verhand- 
lungen des 7. Deutschen Juristentages kamen die Ansichten einander wesentlich näher, 
und ist gerade hier der Einfluß auf die Gesetzgebung unverkennbar. 
Bezüglich der Oesterreichischen StrafP O. ist dies direkt nachweisbar. 
Schon bei den Berathungen im Jahre 1861 war dort beschlossen worden, die 
Bestimmung zu beseitigen, welche für die Vernehmung des Angeklagten in der 
H. die für die Voruntersuchung ertheilten Vorschriften als maßgebend erklärte. Bei 
der Berathung im Ausschuß des Abgeordnetenhauses (1868—1869) ward in engem 
Anschluß an die Formulirung in dem Gutachten des Unterzeichneten für den Juristentag 
der Satz ausgenommen: „Beantwortet der Angeklagte die Anklage mit der Erklä- 
rung, er sei nicht schuldig, so hat ihm der Vorsitzende zu eröffnen, daß er nicht 
verpflichtet sei, die an ihn gerichteten Fragen zu beantworten, daß er aber berechtigt 
sei, der Anklage eine zusammenhängende Erklärung des Sachverhaltes entgegenzu- 
stellen und nach Anführung (in das Gesetz übergegangener Druckfehler für „Vor- 
führung“) jedes einzelnen Beweismittels seine Bemerkungen darüber vorzubringen“. 
Diese Fassung ging in die späteren Entwürfe über; die Kommission des Herren- 
hauses beseitigte jedoch die Worte: „daß er nicht verpflichtet sei, die an ihn gerich- 
teten Fragen zu beantworten“ und bemerkte in ihrem Bericht, sie sehe hierin keine 
meritorische Aenderung, da eine zwangsweise Einwirkung auf den Angeklagten nicht 
gestattet sei, die ausdrückliche Belehrung könne aber als Aufforderung, sich des 
Rechtes zu bedienen, wodurch der Angeklagte vielfach seine Lage verschlimmern könnte, 
aufgefaßt werden. So entstand die Fassung des jetzt geltenden § 245, in welchem 
es ausdrücklich heißt: „Der Angeklagte kann zur Beantwortung der an ihn gerich- 
teten Fragen nicht verhalten werden." — Diie letzte Deutsche Regierungsvorlage 
hatte noch die Mittheilung des Inhaltes der Anklageschrift durch die Staatsanwalt-
	        
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