Hauptverhandlung. 285
werden müssen. Die weiteren Fragen sollten dann hauptsächlich den Zweck haben,
ihn zu Erklärungen über solche Partien des Beweismaterials, über welche er sich
überhaupt nicht, oder nur zweideutig ausgesprochen hat, zu veranlassen. Als Zweck
ist im Auge zu behalten, daß mit den Behauptungen der Anklage die des Ange-
klagten verglichen werden können und daraus ein übersichtliches Bild der Prozeßlage
gewonnen werde. Auf Antworten zu dringen, sobald einmal feststeht, daß der An-
geklagte nicht etwa aus Uebersehen, sondern vorsätzlich schweige, wäre hier ebenso
wenig am Platze, wie der Vorhalt der Details der erst zu erwartenden Beweisfüh-
rung. Widersprüche, in welche der Angeklagte bei der Vernehmung mit seinen frü-
heren oder heutigen Aussagen geräth, müssen ihm, wenn sie nicht blos Details be-
treffen, die noch im Beweisverfahren zur Sprache kommen, sondern wirkliche Zweifel
über seinen Vertheidigungsplan lassen, vorgehalten und muß ihm Gelegenheit
geboten werden, sich definitiv auszusprechen, bei welcher Behauptung er beharre,
und die abweichenden Aeußerungen zu erklären. Alles was darüber hinausgeht,
was nicht mehr den Zweck verfolgt, dem Angeklagten Gelegenheit zu Erklärungen zu
geben, sondern sie ihm abzuzwingen, ihn zu Zugeständnissen zu nöthigen, ist als
unverträglich mit dem Prinzip der kontradiktorischen Verhandlung vor einem Gericht,
das sich seine Meinung erst bilden soll, zu unterlassen. Auf das Detail der kom-
menden Beweisführung, auf Vorhalte über die dem Vorsitzenden aus den Akten
bekannten, aber erst vorzuführenden Beweise darf in diesem Stadium nicht eingegangen
werden, weil dadurch der Grundsatz der Mündlichkeit verletzt und die Oekonomie der
H. beeinträchtigt wird; liegt es im Interesse des Angeklagten, daß er auf das Ge-
wicht eines Beweismomentes, über welches er sich nicht ausgesprochen, aufmerksam
gemacht werde, so ist dies dem Zeitpunkt nach der Vorführung des Beweises selbst
vorzubehalten.
3) Wenn der Angeklagte ausdrücklich ablehnt, über die gegen ihn er-
hobene Beschuldigung sich auszusprechen, so besteht unzweifelhaft kein Recht, ihn
dazu zu verhalten; physischer Zwang ist von selbst ausgeschlossen; es soll aber auch
nicht psychischer Zwang durch Eindringen und Zureden geübt werden. Für den
Zweck, den die Gesetze vor Augen haben, genügt es vollkommen, wenn etwa, wo die
Sachlage es wirklich begründet erscheinen läßt, der Angeklagte auf die Gefahren, die
sein Schweigen ihm bereiten kann, ruhig und wohlwollend aufmerksam gemacht wird,
und wenn dann später im Laufe des Beweisverfahrens etwa der Angeklagte auf die
Wichtigkeit der Aufklärung eines hervorgetretenen Umstandes noch speziell aufmerksam
gemacht wird.
4) So weit der Angeklagte sich auf die Vernehmung einläßt, wird der Vor-
sitzende dabei auch den Zweck verfolgen, sich selbst und die Urtheiler mit der Per-
sönlichkeit, dem Charakter des Angeklagten bekannt zu machen.
5) Die Frage, ob der Angeklagte während seiner Vernehmung sich mit seinem
Vertheidiger besprechen dürfe, ist in der Oesterr. StrafPp O. (§ 245, Abs. 3) dahin
entschieden: „Es ist ihm nicht gestattet, sich mit demselben unmittelbar über die
Beantwortung der an ihn gestellten Fragen zu berathen.“ In der Deutschen
Straf# O. ist die Frage nicht entschieden, und die bloße Bemerkung (Löwe's), daß
ein solches Verbot umgangen werden könne, weil der Angeklagte die Antwort ab-
lehnen und dann in einem späteren Stadium des Verfahrens, nachdem er mit dem
Vertheidiger gesprochen, die Antwort nachtragen könne, genügt wol nicht zur Ent-
scheidung der Rechtsfrage. Gerade weil das Verhör der Vertheidigung des Ange-
klagten dienen soll, muß es so eingerichtet werden, daß nicht blos die Zugeständnisse
desselben als glaubwürdig erscheinen; überdies kann unmöglich verlangt werden, daß
die öffentliche Gerichtsverhandlung zum Stillstand komme, so oft der Angeklagte eine
Privatbesprechung mit seinem Vertheidiger wünscht.
6) Bezüglich des Fragerechtes und seiner Ausübung ist der betreffende Art.
und der Art. Gerichtsvorsitzender (strafpr.) zu vergleichen.