288 Hauptverhandlung.
terung des Beweismaterials in das Beweisverfahren herein zu tragen, so sind die
Schlußvorträge nicht der Ort für die Vorführung von Beweismitteln; Beweis-
materialien, die nicht ordnungsmäßig im Beweisverfahren vorgeführt wurden, können
nicht im Schlußvortrag (z. B. durch Verlesung von Briefen und Schriftstücken, durch
Ergählungen über eigene Wahrnehmungen u. dgl.) produzirt werden; macht der An-
geklagte selbst neue Eröffnungen, so kann dies zur Wiedereröffnung des Beweisver-
fahrens dienen. — Durch die Parteivorträge soll auf das Urtheil der Richter (und
zu diesen gehören auch die Geschworenen und Schöffen) eingewirkt werden, ein Ur-
theil, das sie verpflichtet sind, ohne jede Nebenrücksicht, auf die als wahr erachteten
Thatsachen und das Gesetz in seinem von ihnen als richtig erkannten Sinne zu
stützen; darum haben die Vorträge sich auf dasjenige zu beschränken, was auf diese
allein zulässigen Quellen des Urtheils Einfluß zu üben geeignet ist, nicht aber vor-
zubringen, was die Leidenschaften erregen, dem Gefühl einen unberechtigten Einfluß
auf die Entscheidung verschaffen soll. Noch weniger ist es gerechtfertigt, zur Sache
nicht Gehöriges vorzubringen (in welcher Hinsicht auch das Recht des Gerichtes und
aller Betheiligten darauf, daß ihre Zeit zu Rathe gehalten werde, in Betracht
kommt), an das Publikum statt an die Richter zu appelliren, die Zwecke der Ver-
handlung und die Interessen der zu vertretenden Sache zurücktreten zu lassen vor
dem Wunsch, die eigene Begabung glänzen zu lassen, den Gegner zu beschämen oder
zu verletzen.
Alle diese Pflichten muß sich der Staatsanwalt noch ganz besonders gegen-
wärtig halten; er darf keinen Augenblick vergessen, daß er nicht für sich, sondern
von Staatswegen da ist, daß im Interesse des Staates keineswegs eine Verurtheilung
liegt, welche durch die Mittel entwerthet wird, durch welche sie erlangt zu sein
scheint. Vor Allem muß er sich dem Angeklagten gegenüber gegenwärtig halten,
einerseits daß er herabsteigt, indem er sich in einen persönlichen Kampf mit ihm
einläßt, andererseits daß er kein Recht hat, dem Urtheile des Gerichtes vorzugreifen,
und denjenigen als Schuldigen zu behandeln, dessen Verurtheilung noch von dem
Ausspruch des Gerichtes abhängt. Es ist vielleicht gestattet, die Weisungen zu
erwähnen, welche bei der Einführung der Oesterr. StrasPp O. von 1873 den Staats-
anwälten bezüglich der Schlußvorträge ertheilt wurden. Es wird ihnen empfohlen,
„maßvolle Zurückhaltung zu beobachten, und das Hauptgewicht auf die Hervor-
hebung der Thatsachen und Verhältnisse zu legen, welche die von ihnen empfohlene
Entscheidung rechtfertigen."“
Ueber die vor den Geschworenen zu haltenden Vorträge heißt es: „Die Vor-
träge sollen auf den Verstand der Geschworenen einwirken, sie zur denkenden Beur-
theilung des Beweismaterials anleiten, sie durch Gründe zu überzeugen suchen, welche
den Thatsachen und der Lebenserfahrung der Geschworenen entnommen sind. Alles,
was darauf abzielt, dem Gefühle die Oberhand über den Verstand zu verschaffen,
sie in leidenschaftlicher Erregung fortzureißen, ist zu vermeiden. Denn es genügt für
die letzten Zwecke der Strafrechtspflege nicht, daß dem einzelnen Falle sein Recht
werde; es muß auch durch die Art, wie der Ausspruch zu Stande kommt, allen
klar werden, daß er nicht das Werk des Zufalls, sondern jener Einrichtungen des
Staates sei, die durch ihr Zusammenwirken der Wahrheit und dem Rechte die Al-
leinherrschaft über das Walten der Strafgerichte sichern. Dazu würde es wenig
passen, wenn die der Fällung des Wahrspruches vorausgegangene Verhandlung es
zweifelhaft macht, ob bei ruhiger Erwägung die Geschworenen nicht anders entschieden
haben würden. Das einzige Gefühl, welches aufzurufen die Staatsanwälte nicht
müde werden dürfen, ist das Pflichtgefühl der Geschworenen. Da, wo es nöthig ist,
muß ihnen immer von Neuem eingeprägt werden, daß sie nicht das Recht haben, Willkür
zu üben, vermeintliche Mängel der Gesetze zu verbessern, ihren politischen, nationalen,
religiösen Anschauungen Geltung zu verschaffen, daß sie vielmehr sich im vorliegenden
Falle an dem Richterspruche zu betheiligen hätten, daß bei allen Richtersprüchen die