Hauptverhandlung. 289
strengste Unparteilichkeit und Objektivität walten müsse, solle nicht die Sicherheit
des Ganzen und die jedes Einzelnen schwer gefährdet werden, und daß daher auch
sie verpflichtet seien, als unparteiische Richter lediglich die Wahrheit der Thatsachen
und die Bestimmungen des Gesetzes, die ihnen der Vorsitzende zu erläutern hat, in
ihrem Wahrspruch zur Geltung zu bringen."
Minder deutlich ist dem Vertheidiger sein Weg vorgezeichnet; er hat nicht
das Recht, auf Kosten seines Klienten Zugeständnisse zu machen oder dadurch, daß
er öffentlich selbst dessen Angaben widerspricht, dem Gerichte vorzugreifen; und doch
kann auch er sich nicht als im ausschließlichen und unbedingten Dienste der Inter-
essen desselben stehend ansehen und sich mit Wahrheit und Gesetz in Widerstreit
setzen. Er kann daher eine pflichtgetreue und würdige Haltung nur dann einnehmen,
wenn er sich sorgfältig davor hütet, durch den Ausdruck seiner persfönlichen Ueber-
zeugungen, als solcher, wirken zu wollen; er muß vielmehr davon ausgehen, daß
seine Pflicht sei, jede thatsächliche und juristische Erwägung, welche für seinen
Schützling sprechen könnte, denen vorzusühren, die darüber zu urtheilen haben: seine
Aufgabe ist, für die Bollständigkeit der Erwägungen der Urtheiler zu sorgen, den
Werth derselben abzuschätzen, ist Sache der letzteren; — daß er aber freilich auf eine
sorgsame Beachtung seiner Worte nur dann rechnen kann, wenn sie nicht sofort
(durch Spitzfindigkeit, Leidenschaftlichkeit, Gesuchtheit, Weitwendigkeit, offenbare So-
phistik) den Eindruck machen, ernste Beachtung nicht zu verdienen, und vielmehr
Mißtrauen und Mißachtung hervorrufen. Sehr schön sagt Carrara, nachdem er
als die Pflichten des Advokaten bezeichnet: 1) das Wissen, d. i. die vollständige
Aneignung aller faktischen und juristischen Einzelheiten; 2) das Mitgefühl; 3) den
Muth; 4) die treue Bewahrung der Geheimnisse; 5) die Uneigennützigkeit und 6)
die Ge setzlichkeit (lealtà),, „Diese verpflichtet ihn nur, soweit er thätig ist, aber
sie verpflichtet ihn nicht, die Unterlassungen der Anklage gut zu machen und für die
Darlegung der Schuld thätig zu sein . Sie legt ihm nur einc negative Pflicht
auf; sie verlangt, daß er nicht behaupte, was der prozessualen Wahrheit wider-
spricht und daß er nicht durch Ränke und lügnerische Beweismittel den Triumph
der Unwahrheit zu fördern such . Es ist aber nicht unloyal, wenn er ver-
schweigt oder unterläßt, was gesagt oder gethan dem Angeklagten schaden würde."“
Hervorzuheben sind folgende Einzelheiten:
1) Im Schwurgerichtsverfahren müssen die Parteivorträge in zwei Abschnitte
zerfallen, deren erster dem Wahrspruch vorausgeht, während der zweite sich auf die
aus letzterem vom Gericht zu ziehenden Folgerungen bezieht. Im Verfahren vor
einheitlichen Kollegien bildet es die Regel, daß die Parteivorträge den ganzen In-
halt des zu fällenden Urtheils erschöpfen. Nach § 256 der Oesterr. StrafP O. steht
es jedoch „dem Vorsitzenden oder dem Gerichtshofe frei, zu verfügen, daß die Schluß-
vorträge über die Schuldfrage von jenen über die Strafbestimmungen, über die privat-
rechtlichen Ansprüche und über die Prozeßkosten zu trennen seien.“ Nach der Deutschen,
wie nach der Oesterr. Straf-# O. wird dem Vorsitzenden die Befugniß zuerkannt
werden müssen, beim Zusammentreffen mehrerer Anklagepunkt die abgesonderte
Erörterung einzelner derselben anzuordnen.
2) Der Staatsanwalt ist nach der Deutschen StrafP O. in dem Vortrag am
Schluß der H. an den Gerichtsbeschluß, womit die Eröffnung des Hauptverfahrens
verfügt wurde, nicht gebunden, während er andererseits über die Anklage, die gar
nicht von der Staatsanwaltschaft auszugehen braucht, und jedenfalls formell das
Werk des Gerichtes ist, nicht verfügen kann. Er legt daher das Ergebniß der Be-
weisaufnahme, wie es sich ihm in diesem Augenblicke darstellt und die Rechtsansicht,
die er sich in der Sache gebildet hat, dar, und kann abgesehen von der Frage der
sog. Anklagebesserung (. diesen art.) entweder den Antrag auf Freisprechung
stellen oder sich eines bestimmten enthalten und nach der Französischen Formel die
Sache „der Weisheit des Gerichtes anheimstellen“. Nach der Oesterr. Straf PO.
v. Holtzendorff, Enc. II. Rechtslexikon II. 3. Aufl. 19