306 Heimathswesen.
oder Vollziehung einer armengesetzlichen Vorschrift abgeschlossen war. Den gegen
diese Auffassung des H. erhobenen Einwand, daß solche Ansprüche nicht allein auf
Grund der Bestimmungen des RWGes. über den Unterstützungswohnsitz, sondern aus
einem dem Eivilrechte angehörenden Fundamente (dolus, Irrthum u. s. w.) geltend
gemacht würden, erachtet das H. nicht für zutreffend. In der TLhat wird die
Gleichmäßigkeit der Belastung des einzelnen Armenverbandes bedingt durch die voll-
ständige Erfüllung der reichsgesetzlichen Pflichten seitens aller übrigen, es muß daher
dem einzelnen Armenverbande, welcher in Folge der etwaigen Nichterfüllung dieser
Pflichten seitens eines andern Armenverbandes von einer ihm nicht obliegenden
Last betroffen wird, oder welcher sich an der öffentlichen Armenpflege da betheiligt
hat, wo er gesetzlich entweder gar nicht, oder nur in geringerem Maße, oder nur
vorläufig verpflichtet war, das Recht zuerkannt werden, die Ausgleichung der öffent-
lichen Last der Armenpflege nach Maßgabe des Gesetzes gegen jeden Armenverband
zu verlangen, zu dessen Gunsten er sonst überbürdet sein würde. Dies ist der
Charakter der nach dem RGes. vor die Heimathsbehörde gehörigen Klage. Unter
welche civilrechtliche Formel diese Klage sonst noch gebracht werden kann, ist für
die Beurtheilung der zur Entscheidung berufenen Verwaltungsgerichtshöfe ohne Be-
deutung. Anderer Ansicht ist das Königl. Sächsische Ministerium des Innern als
Spruchbehörde in Armenstreitigkeiten, dagegen theilt der Badische Verwaltungs-
gerichtshof die Auffassung des H.
Die wichtigeren Entscheidungen des H. werden von Wohlers seit 1873 fort-
laufend (Berlin bei BVahlen) veröffentlicht, bisher (Dezbr. 1880) sind 11 Hefte erschienen.
Gsgb. u. Lit.: Reichsgesetz vom 6. Juni 1870 (B.G.Bl. f. 1870, S. 360). — Kom-
missionsbericht Nr. 139 in den Anl. zu den Reichstagsverhandl. von 1870. — Wohlers,
Das Reichsgesetz über den Unterst.-Wohns., 2. Aufl. 1880, S. 106. — Seydel, Reichs-
Armenrecht, in Hirth's Annalen 1877, S. 616. — Bad. Zeitschr. 1876, S. 31. — Saächf.
Wochenblatt 1875, S. 100. B. König.
Heimathswesen. Das Deutsche Heimathsrecht, wie es in vielen Deutschen
Staaten — freilich in mannigfacher Gestaltung — bis in die neueste Zeit bestanden
hat, bezeichnete nicht nur die politische Zugehörigkeit zu einer Gemeinde, sondern es
umfaßte auch, in größerer oder geringerer Ausdehnung, wichtige bürgerliche Rechte:
das Recht zum Aufenthalt, zur Niederlassung und zum Erwerb von Grundeigen-
thum in der Gemeinde, den Anspruch auf Unterstützung im Fall der Verarmung, die
Befugniß zur Verehelichung und Gründung eines eigenen Hausstandes, sowie zum
Gewerbebetriebe. (Vgl. den Art. Gemeindebürgerrecht.) Indem die Verfassung
des Norddeutschen Bundes für den Umfang des gesammten Bundes ein gemeinsames
Indigenat schuf, legte es demselben zunächst nur die Wirkung bei, daß der
Angehörige eines jeden Bundesstaats in jedem andern Bundesstaate zum festen
Wohnsitz, zum Gewerbebetriebe, zur Erwerbung von Grundstücken unter den-
selben Voraussetzungen wie der Einheimische zuzulassen sei und in
der Ausübung dieser Befugniß weder durch die Obrigkeit seiner Heimath, noch
durch die Obrigkeit eines anderen Bundesstaats beschränkt werden dürfe
Dadurch waren bezüglich der namhaft gemachten Rechte die interterritorialen Be-
schränkungen beseitigt: mit dem Landesangehörigen stand fernerhin der Angehörig
jedes andern Bundesstaats auf gleicher Stufe. Fortbestehen blieben aber die inter
kommunalen Beschränkungen; alle diejenigen landesgesetzlichen Bestimmungen bestande:
weiter, welche die Nicht-Ortsangehörigen von dem Genuß der mit dem Heimathe
rechte verbundenen Befugnisse ausschlossen. Da das Heimathsrecht dem Prinzipe nach
durch die Geburt erworben wurde, so blieben die Schranken, welche dem Einzelne
bei Verwerthung seiner Arbeitskraft entgegenstanden, noch sehr hemmend. Die e
seitigung dieser Schranken war nicht sofort zu bewirken. Der unverweilten durch
greifenden Ordnung der Heimathsverhältnisse auf einheitlicher Grundlage stellte di
Mannigfaltigkeit der in den einzelnen Bundesstaaten bestehenden, nicht ohne Weitere
zu beseitigenden Einrichtungen Schwierigkeiten entgegen. Deshalb schlug die Bunde-