Heimathswesen. 307
esetzgebung, welcher die Bestimmungen über Heimaths= und Niederlassungsverhält-
isse durch die Verfassung zugewiesen sind, den Weg der Einzelbehandlung ein. Zu-
ächst wurde durch das Bundesgesetz vom 8. Novbr. 1867 die persönliche Freizügig-
it für das ganze Bundesgebiet eingeführt, unter ausdrücklicher Hervorhebung der
sonsequenz, daß fortan das Recht zum Aufenthalt, zur Niederlassung und zum
zrunderwerb von der Gemeindeangehörigkeit (dem Heimathsrechte) unabhängig sei.
edem Bundesangehörigen steht nach dem allegirten Gesetze das Recht zu, inner-
alb des Bundesgebiets an jedem Orte sich aufzuhalten oder niederzulassen, wo er
ne eigene Wohnung oder einen Unterhalt sich zu verschaffen im Stande ist und an
dem Orte Grundeigenthum zu erwerben. Damit war bereits ein wesentlicher Theil
er bis dahin ausschließlich an das Heimathsrecht geknüpften bürgerlichen Rechte zur
lbständigen, jedem Deutschen im ganzen Bundesgebiet zustehenden Befugniß geworden.
Es folgte das Gesetz vom 4. Mai 1868. In denjenigen Bundesstaaten, in
elchen das Institut des Heimathsrechts bestand, bedurfte es vielfach zum Abschluß
ner Ehe der Zustimmung der Heimathsgemeinde bzw. der Erwerbung des Orts-
ürgerrechts. Da hierdurch die persönliche Freizügigkeit in ihrem Werthe beein-
rächtigt wurde, so erachtete es die Bundesgesetzgebung für ihre nächste Aufgabe,
ieses Hinderniß freier Selbstbestimmung wegzuräumen. Das angezogene Gesetz er-
ärte die aus dem Heimathsrechte sich ergebenden Beschränkungen der Eheschließung
ir aufgehoben, beseitigte auch alle sonst noch landesgesetzlich bestehenden Bestimmungen,
onach zum Eingehen einer Ehe eine besondere obrigkeitliche Genehmigung erforderlich
zar, so daß es nun zur Eingehung einer Ehe oder zu der damit verbundenen
zründung eines eigenen Haushalts weder des Besitzes, noch des Erwerbes einer Ge-
leindeangehörigkeit (Gemeindemitgliedschaft) oder des Einwohnerrechts, noch der
zenehmigung der Gemeinde (Gutsherrschaft) oder des Armenverbandes, noch einer
brigkeitlichen Erlaubniß bedarf.
Weiter wendete sich die Bundesgesetzgebung der Befreiung des Gewerbebetriebs
on allen staatspolizeilichen Beschränkungen zu. In dem Freizügigkeitsgesetze war
ereits festgesetzt, daß keinem Bundesangehörigen wegen fehlender Gemeindeangehörigkeit
er Gewerbebetrieb verweigert werden dürfe. Die Gewerbeordnung (/. diesen Art.)
om 21. Juni 1869, welcher das sog. Nothgewerbegesetz vom 8. Juli 1868 voraus-
egangen war, setzte fest, daß der Betrieb eines Gewerbes der Regel nach Jedermann
estattet sei, und daß den Zünften und kaufmännischen Korporationen ein Recht,
ludere von dem Betriebe eines Gewerbes auszuschließen, nicht zustehe.
Endlich löste das Gesetz über den Unterstützungswohnsitz (s. diesen Art.)
om 6. Juni 1870 die Pflicht zur Armenpflege von ihrer Verbindung mit dem
deimathsrechte los, indem es dieselbe auf die Armenverbände (I diesen Art.)
bertrug.
Mit diesem letzteren Gesetze hat die Reichsgesetzgebung über die Heimaths= und
tiederlassungsverhältnisse ihren Abschluß erreicht. Es bleiben von dem Inhalte des
isherigen Heimathsrechts — in der weitesten Ausdehnung des Begriffs — nur die
Jermögens= und kommunalpolitischen Rechte (Stimmgebung bei den Gemeindeversamm-
ungen, Wahlfähigkeit und Wählbarkeit zu den Gemeindeämtern, Theilnahme an dem
zemeinde= und Allmendgut) übrig, welche nicht zum Gegenstand der Bundes= bzw.
leichsgesetzgebung gemacht werden konnten. Zu erwähnen bleibt, daß das Gesetz
om 4. Mai 1868 nicht in Bayern und Elfaß-Lothringen eingeführt ist und daß
ie Gew. O. (mit Ausnahme des § 29) nicht in Elsaß-Lothringen gilt.
Ssgb. u. Lit.: Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 3 und 4. — B.Ges. über die Frei-
igigkeit vom 1. Nov. 1867 (B.G.Bl. S. 55). — B. Ges. über die Aufhebung der polizeilichen
seschränk. der Eheschließ. vom 4. Mai 1868 (B.G.Bl. S. 149). — Gew.O. v. 21. Juni 1869
§.G. Bl. S. 245). — B.Ges. über den Unterst.-Wohnsitz v. 6. Juni 1870 (B.G.Bl. S. 360). —
Flottwell, Was bedeutet das Deutsche Heimathswesen? Potsdam 1867.
B. König.
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