Full text: Rechtslexikon. Zweiter Band. Gad - Otto. (2.2)

Incestuosus. 359 
Vorwurfe zeitweiser übler Folgen zu befreien. Da die erweislichen Fälle von schwerer 
Impferkrankung alle nur auf zweierlei Ursachen zurückweisen, — entweder auf Be- 
nutzung einer voneinem ungesunden Kinde entnommenen dder einer bereits 
in faulige Zersfetzung übergegangenen Lymphe, und da bis jetzt keine Er- 
fahrung vorliegt, welche geeignet wäre, die Uebertragung irgend welcher Krankheit vom 
Kalbe auf den Menschen zum Gegenstande der Befürchtung zu machen, so erscheint es 
als die idealste Lösung, daß alle Impfungen nur in direkter Weise von Kälbern auf 
Menschen geschehen. Dieser Lösung stehen indeß so erhebliche technische und namentlich 
finanzielle Schwierigkeiten entgegen, daß sie vielleicht nur in beschränktem Umfange 
möglich sein wird. Einstweilen sind es nur einzelne größere Städte, wie Brüssel, Haag, 
Utrecht, in Deutschland Hamburg und Weimar, in Italien Neapel und Mailand, welche 
die Anwendung animaler Lymphe unter direkter Ueberimpfung in umfassendem Maß- 
stabe verwirklicht haben. Inwieweit die gleiche Reform zu einer allgemeinen im 
Deutschen Reiche erhoben werden könne, unterliegt nach den Erklärungen, welche dem 
Deutschen Reichstage in seiner Session von 1879—80 von den Regierungsvertretern 
ertheilt worden sind, eingehenden Untersuchungen der technischen Reichsbehörden. In 
welchem Sinne aber auch immer das Ergebniß dieser Untersuchungen ausfallen möge, 
so besteht an den maßgebenden Stellen keinesfalls die Absicht, an der mühsam er- 
rungenen und von der ungeheuren Mehrzahl aller Aerzte warm anerkannten Wohl- 
that des allgemeinen Blatternschutzes durch die allgemeine obligatorische Impfung 
irgendwie rütteln zu lassen. Viel eher wird im Gegentheil eine Vervollständigung 
des bezüglichen Gesetzes in der Richtung erstrebt werden, daß die Vornahme der 
Wiederimpfungen (Revaccinationen) sämmtlicher im 12. Lebensjahre stehender Kinder 
durch bestimmtere und direktere Vorschriften gesichert werde, als dies vermöge des 
bestehenden Reichsimpfgesetzes der Fall ist. Die Beobachtungen bei Gelegenheit der 
letzten Blatternepidemie in den Jahren 1870—71 haben überall ergeben, daß nicht 
eine unzureichende Schutzkraft der Impfung selbst, sondern die unterlassene Wieder- 
holung derselben als Ursache der Blatternverbreitung zu betrachten war. Auf eine obli- 
gatorische Revaccination, deren wohlthätiger Wirkung das verhältnißmäßige 
Verschontbleiben der Deutschen Armee während des Französischen Feldzuges so sichtlich 
zu verdanken war, wird denn auch von den Sachverständigen aller Länder gegen- 
wärtig ein ebenso großes Gewicht gelegt, wie auf die obligatorische allgemeine Im- 
pfung der im ersten Lebensjahre stehenden Kinder, und in den Vereinigten Staaten 
von Nordamerika besteht die gesetzliche Befugniß für alle Ortsverwaltungsbehörden, 
im Falle einer drohenden Blatternepidemie sämmtliche Einwohner ohne Unterschied 
des Alters der Revaccination zu unterziehen, insoweit dieselben nicht den Nachweis 
erbringen, daß sie innerhalb der letzten 10 Jahre mit Erfolg geimpft worden sind. 
Lit.: H. Bohn, Handbuch der Vaccination, Leipzig 1875. — E. Seaton, A Handbock 
of Vaccination, London 1868. — Flinzer, Ueber die Entwickelung des Impfwesens im 
Königr. Sachsen, 1876. — P. Frey, The lav relating to Vaccination, London 1870. — 
Carsten. La vaccin. anim. dans les Pays-Bas, La Haye 1877. — Bollinger, leber 
animale Vaccination, Leipz. 1879. — Vogt, Für und wider den Impfzwang, Bern 1879. 
Finkelnburg. 
Incestuosus ist eigentlich Derjenige, welcher sich des Verbrechens der Blut- 
schande schuldig macht. Mit dem gem. Civilrecht hat dieser Begriff nichts zu thun, 
da die frühere Testirunfähigkeit im neuesten Rechte nicht mehr existirt. Vgl. Preuß. 
Allg. LR. Th. I. Tit. 12 § 35. — Unter dem Namen incestuosi verstehen aber die neueren 
Schriftsteller gewöhnlich die in der Blutschande erzeugten Kinder, ex nefando incesto 
damnato coitu, ex nefandis nuptiis procreati. Gegen diese hat die Praris verschie- 
dene Zurücksetzungen statuirt, welche nicht nur innerlich ungerechtfertigt sind, sondern 
auch bei unbefangener Prüfung als gesetzlich nicht begründet erscheinen. Allerdings 
schloß eine Konstitution von Arcadius und Honorius (I. 6. C. de incestis et inu- 
tilibus nuptiis 5, 5) die in blutschänderischer Ehe erzeugten Kinder von der elter- 
lichen Erbschaft aus; dieses Gesetz ist aber durch Nor. 12 implizite ausgehoben
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.