Inkorporation. 371
macht es aber, den Uebergang der Forderung im Fall des Besitzwechsels zu erklären.
Savigny nimmt darum einen Vertrag mit einer persona incerta an. Renaud
behauptet eine Singularsuccession in das Recht des Vorgängers. Unger faßt den
Uebergang der Forderung als Delegation auf. Gerber reiht die J. unter die
Zustandsobligationen ein, betrachtet sie aber zugleich als Urkunden über ein be—
stimmtes Rechtsgeschäft und kommt sonach, da die Zustandsobligation jene Obligation
ist, auae ex re fit, zu der sonderbaren Annahme zweifacher Vaterschaft für die
Obligation. Bekker nimmt zu einer Personifikation des Papiers seine Zuflucht
und betrachtet dieses als den Gläubiger. Ihering warf den Gedanken auf, daß
die Obligation erst durch die Präsentation erworben werde und bis dahin nur die
Möglichkeit vorhanden sei, durch die Präsentation Gläubiger zu werden. Kuntze
betont den einseitigen Charakter des Begründungsaktes; das Rechtsverhältniß entstehe
nicht durch einen Vertrag, sondern führe auf den Kreationsakt zurück, durch welchen
an sich der Aussteller verpflichtet werde, dem Präsentanten des Papiers zu zahlen.
Damit die Möglichkeit der Präsentation gegeben werde, müsse zur Kreation die
Nehmung des Papiers durch einen Anderen hinzutreten. Diese werde in der Regel
durch Emission vermittelt, doch sei auch im Falle unbeabsichtigten Auslaufs des
Papiers der Aussteller kraft der Kreation gebunden, es von dem Präfsentanten ein-
zulösen. Den Uebergang der Obligation auf die späteren Inhaber erklärt Kuntze
durch eine an die Thatsache des Besitzwechsels geknüpfte Novation. Neuerdings hat
Siegel, auf Kuntze weiterbauend, für das J. die bindende Kraft des einfeitigen Ver-
sprechens geltend gemacht. Nach Thöl begründet die Innehabung an sich nur die
Vermuthung, daß der Inhaber zur Geltendmachung des Rechtes legitimirt sei.
Diese Vermuthung könne jedoch durch Gegenbeweis entkräftet werden, und diesen
Gegenbeweis zu führen sei der Schuldner stets berechtigt, aber nicht auf eigene Ge-
fahr zu führen verpflichtet.
Stellt man die Frage nach dem Uebergang des Rechtes auf den jeweiligen In-
haber, so wird man, wenn die Antwort für alle Fälle dieselbe sein will, dem Rechts-
institut stets Gewalt anthun. Denn gerade darin liegt die Bedeutung des I.,
daß diese Frage ausgeschlossen werden und im Verhältniß zum Schuldner der je-
weilige Inhaber als Rechtssubjekt behandelt werden soll. Der Präsentant des J.
hat Gläubigerstellung; ob er Gläubiger ist, bleibt im Verhältniß zum Schuldner
irrelevant, weil dieser ihn nicht danach zu fragen, jener auf die Frage nicht zu
antworten braucht. Die Frage nach der wahren Gläubigerschaft ist also im Ver-
hältniß zum Aussteller eine blos theoretische; soweit sie sonst in Betracht kommt,
kann man nur den redlichen Erwerber als wahren Gläubiger bezeichnen.
Lit.: Zur Geschichte und Dogmatik d. J.: Kuntze, Lehre von den J., 1857. — Gareis
in der Zeitschr. für H. R. XXI. 349. — Brunner, Zur Geschichte und Dogmatik der Werth-
papiere a. a. O., XXII. 42 ff., XXIII. 225 ff.; Derselbe, Das Französ. Inhaberpapier, 1879. —
Savigny, Oblig.R., II. 93 ff. — Renaud in der Ztschr. f. Deutsches Recht XIV. 315. —
Thöl, H. R., 6. Aufl., §§ 222 ff. — Unger, Rechtliche Natur der J., 186ö7. — Ihering
in seinen und Gerber's Jahrbb. f. Dogm. I. 49. — Bekker in seinem u. Muther's Jahr-
buch I. 266. — Siegel, Das Versprechen als Verpflichtungsgrund, 1873, 108 ff. — Beseler,
Deutsches Priv.R., ¾ 87. — Gerber, § 161. — Gengler, p. 348 ff. — Stobbe,
* 179 ff. — Endemann, H.R., § 86. — Gareis, H. R., § 79. — Dernburg, Preuß.
Priv.R, II. § 88. — Poschinger, Lehre von der Befugniß zur Ausstellung von J., 1870. —
Schumm, Die Amortisation verlorener oder sonst abhanden gekommener Schuldurkunden,
1830. — Daniel, Treatise on the law of negotiable instruments, 2. ed. 1879. — De
Foleville, Traité de la possession des meubles et des titres au porteur, 2. ed. 1875.—
Galluppi, Titoli al portatore, 1876. Heinrich Brunner.
Inkorporation ist eine im Mittelalter häufig vorgekommene Art der Ver-
einigung (unio) der kirchlichen Benefizien, in der Weise, daß Pfarrämter mit ein-
zelnen Klöstern, Stiftern oder einzelnen Stellen (z. B. der des Propstes, des
Dekan 2c.) — gewöhnlich zur Aufbesserung der Einkünfte der letzteren — dauernd
erbunden wurden. Die J. war eine incorporatio quoad temporalia, wenn das
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