Full text: Rechtslexikon. Zweiter Band. Gad - Otto. (2.2)

Irrengesetzgebung. 395 
können einzelne Staatseinrichtungen, so z. B. die allgemeine Zeugnißpflicht und die 
allgemeine Wehrpflicht, hier Konflikte herbeiführen, weil der Geistliche, der in einer 
Kapitalsache durch sein Belastungszeugniß die Verurtheilung und Hinrichtung des 
Angeklagten herbeiführt oder im Kriege als Soldat Jemanden tödtet, ex defectu 
perfectae lenitatis irregulär wird. Dasselbe tritt dann ein, wenn der Staat für 
die Geistlichen im Widerspruch mit der Kirche das Erforderniß einer höheren allge- 
meinen wissenschaftlichen Bildung, wie das z. B. in Baden und Preußen geschehen 
ist, vorschreibt. Gestattet hier der Staat keine Ausnahmen oder Erleichterungen, 
wie das meistens hinsichtlich der allgemeinen Wehrpflicht geschehen ist, so bleibt der 
Kirche nichts Anderes übrig, als nöthigenfalls durch Dispensation zu helfen. — Die 
evangelische Kirche hat den Begriff der J. nicht in ihr Recht ausgenommen. 
Lit.: Fr. E. a Boenninghausen, Tractat. iurid. canon. de irregularitatibus, 
Monasteri## 1863—66, 3 fasciculi. — P. Hinschius, Kirchenrecht der Katholiken und Pro- 
testanten, Berl. 1869, I. 7—63. P. Hinschius. 
Irrengesetzgebung ist die Gesammtheit der Gesetze und Verordnungen, welche 
in einem Staat bezüglich der öffentlichen Fürsorge für Geisteskranke, ihres rechtlichen 
Schutzes, ihrer Gefährlichkeit für die öffentliche Ordnung und Sicherheit erlassen 
worden sind. Sie begreift speziell die Verfügungen über die Bedingungen der Auf- 
nahme Geisteskranker in öffentliche und Privatanstalten und deren Entlassung aus 
solchen in sich, die öffentliche Fürsorge für die Irren außerhalb der Anstalten und 
ihre staatliche Beaufsichtigung, endlich die Bedingungen, unter welchen Asyle für 
Irre von Privaten errichtet werden dürfen und die staatliche Ueberwachung der öffent- 
lichen und Privatirrenanstalten. 
Eine eigentliche J. haben nur Frankreich (Ges. v. 30. Juni 1838), einzelne 
Kantone der Schweiz, Norwegen und Schweden, Belgien und Holland, deren Gesetz- 
gebung fast ganz mit der Französischen übereinstimmt, sowie England. In den übrigen 
Europäischen Staaten bestehen nur einzelne ad hoc erlassene Verordnungen. Der 
Mangel einer umfassenden Gesetzgebung macht sich in denselben immer mehr fühlbar. 
Das Franz. Irrengesetz bestimmt den Modus der Ueberwachung der öffentlichen 
und privaten Irrenanstalten, ordnet regelmäßige Visitationen derselben durch Staats- 
beamte an und überläßt die Konzession zur Errichtung von Anstalten der Entscheidung 
der Staatsbehörde. Die Bestimmungen über Aufnahme in und Entlassung 
aus Irrenanstalten sind in demselben folgendermaßen geregelt: 
Der Vorstand der Anstalt ist zur Aufnahme eines Kranken nur ermächtigt, 
1) wenn ein Aufnahmegesuch ihm vorliegt, in welchem die Person, welche die Auf- 
nahme für eine andere nachsucht, ihre eigenen Relationen zu dieser, wie auch dieser 
selbst, angiebt; 2) ein ärztliches Certifikat über die Natur der Krankheit und die 
Begründung der Nothwendigkeit der Aufnahme. Der Arzt darf in keiner Weise mit 
der aufzunehmenden Person oder dem Anstaltsarzte verwandt sein. 3) Paß oder 
andere Dokumente, welche die Identität der auszunehmenden Person nachweisen. 
Binnen 24 Stunden nach der Aufnahme in eine öffentliche Anstalt müssen die 
Papiere nebst einem Certifikat des Anstaltsarztes der Administrativbehörde, in deren 
Bezirk die Anstalt liegt, vorgelegt werden. 
Fand die Aufnahme in ein Privatasyl statt, so hat die Behörde binnen drei 
Tagen vom Einlaufen der Papiere an Sachverständige abzuordnen, die sich vom 
esundheitszustand des Internirten überzeugen und sofort davon der Behörde Bericht 
erstatten. 
Binnen der gleichen Zeit hat die Behörde von jedem Aufgenommenen die 
Personalien und Motive seiner Aufnahme sowol dem Staatsprokurator des Bezirks, 
in dem der Betreffende domizilirte, als dem, in dessen Bezirk die Anstalt liegt, mit- 
sutheilen. 14 Tage nach der Aufnahme hat der Anstaltsarzt ein zweites Certifikat 
iber den Aufgenommenen der Behörde einzureichen. 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.