Irrengesetzgebung. 397
der Anstaltsarzt dann einen Bericht über den Kranken dem Präfekt zu erstatten, der
über weitere Belassung in der Anstalt oder Entlassung bestimmt. Hält der Arzt in
der Zwischenzeit schon die Entlassung für statthaft, so hat er unverzüglich den Präfekt
zu benachrichtigen, der dann die Entscheidung giebt. Die Spitäler und Asyle sind
verpflichtet, solche polizeilich zugewiesene Kranke provisorisch aufzunehmen. Befindet
sich im Ort kein solches, so hat der Maire für vorläufige Versorgung in einem
Gast= oder Privathaus Sorge zu tragen. Nie darf ein solcher Kranker in einem
Gefängniß internirt werden. «
Nach den gesetzlichen Bestimmungen einiger Deutschen Länder kann ebenfalls
gegen den ausgesprochenen Willen der Angehörigen ein Irrer polizeilich eingewiesen
werden, wenn er sich oder Anderen gefährlich oder gänzlich hülflos ist. Ueber die
Behandlung geisteskrank gewordener Sträflinge differiren die gesetzlichen Bestimmungen.
In einigen Ländern, wo mit der Strafanstalt ein Asyl für irre Verbrecher verbunden
ist, wird er in dasselbe transferirt, in anderen auf Grund eines Attestes des Ge—
fängnißarztes von dem Justizministerium in die öffentliche Irrenanstalt des Landes
eingewiesen. In England bestehen einige hospitalartige Anstalten für irre Ver—
brecher (criminal lunatic asylums), in denen er, so lange als die Königin es für gut
findet (during her majesty's pleasure), verpflegt wird. In einzelnen Staaten wird
dem Verbrecher die Dauer seiner Krankheit in die Strafzeit eingerechnet.
Die Aufnahmsbestimmungen für Privatirrenanstalten variiren sehr,
stimmen aber darin überein, daß kein Kranker ohne ärztliches Attest aufgenommen
und keiner ohne Mitwissen der vorgesetzten Behörde darin verpflegt werden darf.
Dieser steht die Befugniß zu, nach jeder Richtung sich über die Statthaftigkeit der
Aufnahme zu informiren. Bezüglich der Entlassung von Pfleglingen aus Irren-
anstalten gilt der Grundsatz, daß die Initiative dazu dem Anstaltsarzt zu überlassen
ist, der die Verpflichtung hat, sobald er Jemand für genesen oder nach den Statuten
der Anstalt ihrer nicht mehr für bedürftig hält, denselben aus ihr zu entfernen.
Aber auch sonst muß der Kranke jederzeit entlassen werden, wenn sein Kurator oder
seine Familie dies wünschen, vorausgesetzt, daß er nicht sich selbst oder gemein-
gefährlich ist. Wenn dies der Fall, so hat der Anstaltsarzt sich dem Entlassungs-
gesuch zu widersetzen und die zuständige Behörde zu informiren, welche dann die
weitere Verfügung über Belassung oder Entlassung trifft. Der nicht seltene Fall,
daß unverständige Angehörige den Kranken vor seiner Heilung zurückfordern, wodurch
diese dann in Frage gestellt wird, ist gesetzlich nicht vorgesehen. In jedem Fall
von Entlassung ist der Arzt verpflichtet, in gegebener Frist den Behörden von deren
Erfolgtsein Anzeige zu machen.
Bezüglich der Entlassung geheilter oder ungefährlich gewordener Kranker besteht
in einigen Ländern die Einrichtung, daß sie eine blos provisorische ist und der Ent-
lassene in einem gewissen Verband mit der Anstalt bleibt, welche von den Orts-
behörden über das Befinden desselben zeitweilige Berichte erhält. Während dieser
provisorischen Entlassungszeit kann der Betreffende, wenn er rückfällig geworden ist,
auf ein einfaches ärztliches Attest wieder ausgenommen werden, wovon die Behörde
zu benachrichtigen ist. Der Ersatzbetrag für die Verpflegungskosten ist für
die öffentlichen Anstalten gesetzlich normirt und in dem Statut derselben enthalten.
Nach allgemeinen Grundsätzen des Armenrechts hat die Gemeinde, wenn der Kranke
unbemittelt, für ihn Zahlung zu leisten. Bei Ausländern ist Deckung durch Depo-
nirung einer Summe oder die Bürgschaft eines Inländers erforderlich.
Durch einen Vertrag vom 11. Juli 1853 zu Eisenach hat sich die Mehrzahl
der Deutschen Regierungen zu gegenseitiger kostenfreier Verpflegung ihrer Staats-
angehörigen, wenn sie in einem der der Uebereinkunft beigetretenen Staaten erkrankt
sind, bis zu dem Zeitpunkt verpflichtet, wo ihre Rückkehr in den zu ihrer Ueber-
nahme verpflichteten Staat ohne Nachtheil für ihre oder Anderer Gesundheit ge-
schehen kann.