Full text: Rechtslexikon. Zweiter Band. Gad - Otto. (2.2)

Irrthum. 401 
haltenden Urkunde, das Geschäft gültig sein soll (vgl. Brinz, Lehrb., S. 1401; 
Hölder, Krit. V.J. Schr. XIV. S. 568). Man hat auch die ganze Unter- 
scheidung zwischen dem sog. unechten und echten IJ. angegriffen, so namentlich 
Bekker, Krit. V. J. Schr. III. S. 187—201 und XXII. S. 47; und noch weiter, über 
das Gebiet des J. hinaus, greift die jetzt vielfach vertheidigte Theorie, daß bei 
Rechtsgeschäften überhaupt nicht die auf Rechtsfolgen gerichtete Absicht des Er- 
klärenden, sondern dessen Erklärung und die derfelben nach allgemeinen Regeln 
beizulegende Bedeutung und Wirkung maßgebend sei; so insbesondere Bähr, Jahrb. 
f. Dogm. XIV. S. 393; Kohler, ebendas. XVIII. S. 135; auch Röver, 
Schloßmann, Schall u. a. m. Allein alle diese Angriffe haben bisher einen 
durchgreifenden Erfolg nicht erzielt. Wider sie richtet sich insbesondere die Ausführung 
von Windscheid (Archiv für civ. Pr. LXIII. S. 72—112) und die treffende 
Bemerkung Zitelmann's (a. a. O. S. 396—397). 
So erklären sich denn auch die häufigen Aussprüche der Ouellen, wonach errantis 
nullus est consensus u. s. w. (1. 9 C. de her. et fact. ign. 1, 18; 1. 2 pr. D. d. 
ind. 5, 1; 1. 116 § 2 D. d. R. J. 50, 17) einfach durch Beziehung auf solche Fälle, 
wo wegen J. einer Partei ihre Handlung nicht als Ausdruck der nach allgemeinen 
Regeln daraus zu entnehmenden Absicht gelten kann. — Bei Verträgen spricht man 
unrichtiger Weise von Nichtigkeit wegen J. auch in den Fällen, wo zwei an sich 
bestehende Willenserklärungen vorliegen, aber in ihrem Inhalt nicht übereinstimmen, 
während einer oder beide Kontrahenten irrthümlich eine Uebereinstimmung annehmen. 
Hier ist der Vertrag einfach aus dem Grunde nichtig, weil es an dem Erforderniß 
des Konsenses fehlt, der J. ist nur ein begleitender Umstand, welcher das Vor- 
handensein des Dissenses dem Irrenden verdeckt. 
II. Im Gegensatz zu den bisher behandelten J. steht der J. im Motiv, durch 
den eine Partei zur Fassung und Erklärung eines rechtsgeschäftlichen Willens be- 
stimmt worden ist. Ein solcher ist in der Regel ohne alle Bedeutung (ratio 
legandi legato non cohaeret, falsa causa non nocet; I. 1I. 52, 65 § 2 D. de cond. 
ind. 12, 6). Doch giebt es eine Reihe von Fällen, in denen der eingetretenen 
Rechtsfolge gegenüber der J. ein Gegenrecht in verschiedener Form begründet. Ein 
solches gilt, und zwar als ein Recht zur Anfechtung, bei letztwilligen Verfügungen, 
die der Erblasser ohne den J., in dem er sich befand, nicht getroffen haben würde 
(I. 28 D. de inoff, 5, 2; 1. 92 D. de her. inst. 28, 5; vgl. Windscheid, 
III. § 548, Nr. 2 und Voigt, Archiv für civ. Pr. LIV. S. 24, 232). Windscheid 
führt dies auf den allgemeinen Gesichtspunkt einer „Voraussetzung“ der Willens- 
erklärung zurück und will auf Grund einer solchen, wenn sie in einer für den Mit- 
kontrahenten erkennbaren Weise hervorgetreten ist und dann sich als irrig erwiesen 
hat, auch bei Rechtsgeschäften unter Lebenden in weitem Umfang Anfechtung ge- 
statten (Lehrb. I. §§ 78, 97, 98). Allein diese Lehre ist, obwol von ihrem Urheber 
scharffinnig vertheidigt, doch weder quellenmäßig noch aus inneren Gründen zu recht- 
fertigen. Gegen sie zuletzt Wendt, Reurecht und Gebundenheit, I. S. 19 ff. In 
anderer Form, und zwar als Recht auf Erfatz, ist ein Korrektiv des aus irrigem 
Motive hervorgegangenen Rechtsgeschäfts in der Lehre von den condictiones sine 
causa anerkannt (Savigny, III. S. 115, 360). Hier ist gegenüber der Bereicherung, 
die man einem Anderen gewährt hat, bestimmt durch die Vorstellung, daß damit 
eine weitere Rechtsfolge (Schuldtilgung, Dotalverhältniß) sich verbinden werde, eine 
Klage auf Restitution gegeben. Insofern erscheint auch hier der J. im Motiv als 
Moment eines juristischen Thatbestandes. Uebrigens ist in allen Fällen, wo der J. 
die eben angegebene Funktion hat, nur ein entschuldbarer J. (error probabilis) 
ausreichend. Als solcher gilt nach Röm. Recht im Zweifel der J. über Thatsfachen, 
ofern er nicht auf grober Nachlässigkeit beruht (I. 3, 1. 9 § 2 D. de iur. et tact. 
gn. 22, 6), als unentschuldbar im Zweifel der J. über Rechtsregeln, sofern nicht 
ine Rechtsbelehrung unerreichbar war oder falsch ausgefallen ist (lI. 9 § 3 D. eod.). 
v. Holtzendorff, Ene. II. Rechtslexikon II. 3. Aufl. 26
	        
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