Full text: Rechtslexikon. Zweiter Band. Gad - Otto. (2.2)

Juristische Person. 419 
Privatrecht aber fiel ihnen der Begriff der Person an sich zusammen mit dem Begriff 
des isolirten und durchaus nur auf sich selbst gestellten Individuums. Nur um des 
unabweislichen Bedürfnisses willen ließen sie neben den Individuen auch bestimmte 
Verbände und Anstalten im Privatrecht als Personen fungiren, indem sie dieselben 
auf künstlichem Wege den Individuen gleichstellten (personae vice fungitur). Die 
weitere Verfolgung dieses Gedankens führte die Römer zu der von ihnen in mancherlei 
Konsequenzen verwertheten Vorstellung, daß es sich hierbei um eine vom positiven 
Recht aufgestellte Fiktion eines Rechtssubjekts handle, das in Wahrheit als eine 
bloße Gedankenschöpfung der Realität entbehre. Zwar hat man in neuerer Zeit 
das Vorhandensein dieser Auffassung im Röm. Recht lebhaft bestritten. Wenn man 
jedoch statt dessen bald die Idee eines subjektlosen Zweckvermögens (Brinz), bald 
die kollektive Berechtigung der jeweiligen Glieder (Salkowski), bald die Annahme 
einer „Personenrolle“ (Böhlau), bald die Rechtssubjektivität einer organisirten 
Gesammtheit (Pernice), bald die Erkenntniß „historisch-organischer Realitäten“ 
(Kuntze, Baron) bei den Römern ausgedrückt finden will: so greift man dabei 
theils in frühere Entwickelungsphasen der Römischen Anschauungsweise zurück, theils 
trägt man moderne oder auch ganz subjektive Vorstellungen in die Quellen hinein. 
Im Germanischen Recht fehlte es lange Zeit an der Abstraktion, welche 
nöthig ist, um eine Verbandseinheit als ein für sich bestehendes Rechtsfubjekt auf- 
zufassen. Man identifizirte vielmehr die Verbandseinheiten mit ihren sinnlichen 
Trägern. Als Rechtssubjekte über den Einzelnen betrachtete man daher in den 
zahllosen genossenschaftlichen Verhältnissen die Gesammtheiten und in den nicht 
minder reich gestalteten herrschaftlichen Verbindungen Herrn, ohne dort das ein- 
heitliche und das vielheitliche Moment, hier das Recht des Verbandshauptes als 
solchen und sein individuelles Recht begrifflich von einander zu trennen. Gegen das 
Ende des Mittelalters jedoch trat eine Fortbildung des Deutschen Rechts hervor, die 
zur Emanzipation der Verbandseinheit von ihren sinnlichen Trägern und zu ihrer 
Anerkennung als Person hinführte. Die alten Genossenschaften wurden, indem die 
Gesammteinheit der Gesammtvielheit selbständig gegenübertrat, zu genossenschaftlichen 
Körperschaften; die alten Herrschaftsverbände wurden, indem der Herr nur noch 
als der Repräsentant einer unsichtbaren Verbandseinheit erschien, zu verbindenden 
Anstalten. Der Körperschaftsbegriff nahm von dem städtischen Gemeinwesen seinen 
Ursprung und verbreitete sich sodann auf Gilden und Zünfte, Bünde, Landesgemein- 
wesen, ständische Vereinigungen, das hochadlige Haus, allmählich auch auf die Land- 
gemeinden und gleichzeitig zuletzt auf privatrechtliche Erwerbsverbände. Der An- 
staltsbegriff wurde in der Kirche und ihren zahlreichen Instituten zuerst ausgebildet 
und verbreitete sich sodann auf die zu obrigkeitlichen Staaten umgebildeten Territorien, 
sowie auf zahlreiche öffentliche und private Einzelanstalten. In allen diesen Fällen 
war die eigene Persönlichkeit des Verbandes außer Zweifel. Diese Verbands- 
persönlichkeit erschien jedoch nicht wie im Röm. Recht als eine bloße künstliche Ueber- 
tragung der Privatrechtsfähigkeit eines Individuums. Vielmehr war sie erstens der 
einheitliche Mittelpunkt einer gemeinschaftlichen Sphäre des öffentlichen wie des 
privaten Rechts. Sie war zweitens kein fingirtes Wesen, sondern ein vom Recht 
als Einheit anerkannter verkörperter Allgemeinwille, der in dem einen Falle aus der 
Gesammtheit stammte und in ihr lebte, in dem anderen Falle von einem höheren 
Willen abgezweigt und verselbständigt war. Sie war endlich keineswegs eine bloße 
Nachbildung des Individuums, sondern eine Person höherer Ordnung, die mit allen. 
aus ihrer organischen Natur folgenden Eigenthümlichkeiten in das Rechtsleben eintrat. 
Nach der Rezeption des. Röm. Rechts wurden dessen Sätze über j. P. von 
den Juristen mehr und mehr in Deutschland eingebürgert. Es gelang dies in dem- 
selben Grade, in welchem das kommunale und korporative Leben verkümmerte und 
die Gedanken einer absoluten obrigkeitlichen Staatsgewalt einerseits und eines un- 
zebundenen Individualismus andererseits auf allen Gebieten den Sieg errangen. 
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