Full text: Rechtslexikon. Zweiter Band. Gad - Otto. (2.2)

420 Juristische Person. 
Doch wurde bis in unser Jahrhundert die Römische Lehre keineswegs in voller 
Schärfe ausgebildet und in alle Konsequenzen verfolgt, sondern man paßte sie unwill- 
kürlich mehr oder minder Deutschen Verhältnissen an und nahm daher deutschrechtliche 
Anschauungen in sie auf. Zum Theil war dies schon in der Italienischen Doktrin 
des Mittelalters, an welche die gemeinrechtliche Jurisprudenz sich band, in analoger 
Weise geschehen. In noch höherem Grade bildete die Lehre von der j. P. sich unter 
dem Einfluß des Naturrechts um. Erst die Romanisten unseres Jahrhunderts, vor 
Allem v. Savigny und Puchta, vollendeten die Doktrin im Geiste des reinen 
Röm. Rechts und stellten die in dieser schroffen Gestalt den Römern selbst fremde 
Theorie der j. P. auf, welche noch heute die herrschende ist. Dieser Doktrin zufolge 
ist. die j. P. lediglich ein fingirtes Vermögenssubjekt, dessen Dasein auf einer staat- 
lichen Ausnahmeschöpfung beruht. Sie wird daher als ein künstliches Individuum 
betrachtet, das völlig wic ein fremdes Individuum neben den natürlichen Personen, 
die etwa ihr Substrat bilden oder sonst mit ihr verknüpft sind, selbständig dasteht. 
Eine solche j. P. kann daher aus Zweckmäßigkeitsgründen mit jedem beliebigen 
Substrat verbunden werden. Selbstverständlich ist sie willens= und handlungs- 
unfähig, weshalb sie gleich Unmündigen und Wahnsinnigen unter ewiger Vormund- 
schaft gesetzlich bestellter Vertreter und unter überall eingreifender Obervormundschaft 
des Staates steht. Der Staat kann sie auch beliebig wieder zerstören, und ihr Ver- 
mögen fällt nach ihrer Beendigung als erbloses Gut an den Fiskus. 
Mit dieser Theorie Savigny's stand jedoch das wirkliche Rechtsleben, die 
Praxis, die partikuläre Gesetzgebung und die nie ganz erstorbene volksthümliche 
Rechtsanschauung in vielfachem Widerspruch. Dieser Widerspruch hat sich bis ins 
Unerträgliche gesteigert, seitdem in den jüngsten Jahrzehnten die großartige Wieder- 
belebung des korporativen Lebens die nationalen Rechtsgedanken in verjüngter Gestalt 
wiedergeboren und zugleich eine überaus reiche Neugestaltung zu ganz neuen Ver- 
bandsformen geführt hat. Ueberall hat hier das moderne Rechtsleben die Schranken 
des civilistischen Dogmas durchbrochen, und die Gesetzgebung ist bei Regelung dieser 
Verhältnisse ausdrücklich oder stillschweigend von ganz anderen Grundgedanken aus- 
gegangen. So konnte denn auch die Theorie nicht unerschüttert bleiben. Das 
Wesen der j. P. wurde zu einer der am Lebhaftesten erörterten Streitfragen, in der 
sich auch heute die Ansichten um so schroffer entgegenstehen, als die Entscheidung 
mit der Grundauffassung von Staat und Recht und mit den obersten rechts- 
philosophischen Fragen unlöslich zusammenhängt. 
Noch immer wird die Theorie der fingirten Persönlichkeit auf römischrechtlicher 
Basis von den Meisten festgehalten. Wenn jedoch viele Romanisten (z. B. Pfeifer, 
Sintenis, v. Scheurl) wie Germanisten (z. B. Roth, Gerber, Thöl) mit 
Savigny und Puchta fast durchaus übereinstimmen, so haben Andere (Unger, 
Arndts, Windscheid, Bruns, Stobbe) auf verschiedene Weise den Versuch 
gemacht, die Fiktionstheorie in einer dem modernen Bedürfniß entsprechenden Weise 
zu modifiziren. Da aber diese Theorie über ihren Grundgedanken niemals hinaus- 
kommt, ist sie von Anderen ganz ausgegeben worden. Während Böhlau die Fiktion 
der Persönlichkeit durch die Fiktion einer bloßen Personenrolle ersetzen, Salkowski 
den Begriff der formellen oder kollektiven Einheit substiturren, Ihering die 
herrschende Lehre durch Betrachtung der Distinatäre als der wahren Rechtssubjekte 
ersetzen will, ist von Brinz, Demelius, Bekker u. A. der Versuch gemacht, 
die zum lebensunfähigen Schattenwesen degradirte j. P. aus der Reihe der Personen 
überhaupt zu streichen und dafür den doch nicht minder monströsen Begriff des 
„subjektlosen Zweckvermögens“ in das Recht einzuführen. 
Dem gegenüber wurde zuerst von germanistischer Seite unter Anknüpfung an 
die geschichtlich entwickelten Grundgedanken des Deutschen Rechts ein ganz anderer 
Ausgangspunkt vorangestellt, indem behauptet ward, daß die j. P. keine Fiktion, 
sondern eine ebenso wahre und wirkliche Person wie der Mensch selbst sei. Diefe
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.