Full text: Rechtslexikon. Zweiter Band. Gad - Otto. (2.2)

Kaiserthum. 427 
Demnach hat der Kaiser als solcher auch keinen Hofstaat, giebt es kein Ordenssystem 
des Reiches, empfängt der Kaiser keine Civilliste. Staatsrechtlich ist somit unzweifel- 
haft die Stellung des Königs von Preußen die erhabenere: sie ist eine souveräne 
Würde eigenen Rechtes, während die heutige Deutsche Kaiserwürde nur eine Ehren- 
und Quasi-Amtswürde kraft delegirten Rechtes ist, darin durchaus verschieden von 
der Kaiserwürde des alten Reiches. 
Die kaiferlichen Rechte stehen dem „König von Preußen“ zu (Nerf. Art. 11); 
die Sätze des Preußischen Staatsrechtes über die monarchische Thronfolge gelten 
folglich ipso jure auch für das Reich. Ebenso ist anzunehmen, daß auch die ver- 
sassungsrechtlichen Normen des Preußischen Staatsrechtes über Regentschaft und 
Stellvertretung ipso jure für das Reich gelten, da die Worte der RVerf. „König von 
Preußen“ staatsrechtlich nichts anderes bedeuten sollen als „Krone Preußen“, wie 
die Norddeutsche Bundesverf. sich ausgedrückt hatte. Jede Abänderung der Preuß. 
Thronfolgeordnung wirkt somit auch ipso jure für das Reich. Der allgemeine 
staatsrechtliche Grundsatz: Le roi est mort, vive le roi! gilt für das Preußische 
wie Deutsche Reichsstaatsrechtt mit dem Moment des Ablebens des König-Kaisers 
ist der Nachfolger staatsrechtlich an dessen Stelle getreten; die Ableistung des Preußischen 
Verfassungseides ist keine rechtliche Voraussetzung des Deutschen K. Da die Kaiser- 
würde erblich ist, wird dem Kaisertitel der Zusatz „von Gottes Gnaden“ beigefügt, 
obwol dies nicht völlig korrekt ist; der Kronprinz von Preußen führt als Kronprinz 
des Deutschen Reiches den Titel „Kaiserliche Hoheit“; die Insignien von Kaiser und 
Reich (Wappen, Krone, Standarte) wurden genau festgestellt. 
Ein vollkommener Katalog der kaiserlichen Rechte wäre nach strenger Syste- 
matik erforderlich, weil diese Rechte einzelne sind und nicht wie die des Bundes- 
rathes aus einem einheitlichen Prinzipe abgeleitet werden können. Die Spezial- 
gesetzgebung des Reiches ist jedoch in dieser Beziehung so vielseitig, daß eine genaue 
Katalogisirung der kaiserlichen Rechte unterbleiben und es genügen muß, die wich- 
tigsten dieser Rechte, nach bestimmten Gruppen geordnet, zu registriren. 
1) Die monarchische Anschauung ist auf den Kaiser angewendet im Strafreecht: 
überall im Reiche, ohne Rücksicht auf die Grenzen der Einzelstaaten, steht die Person 
des Kaisers unter dem höchsten strafrechtlichen Schutze, indeß die Staatsoberhäupter 
der Einzelstaaten sich nur in ihren eigenen Staaten des gleichen höchsten Schutzes 
erfreuen (RStrafGGB. 8§ 80, 94, 95). 
2) Die monarchischen Grundsätze sind auf den Kaiser übertragen hinsichtlich der 
Anstellung und Entlassung der Reichsbeamten (NVerf. Art. 18). Die Beamten sind 
nach monarchischem Staatsrecht Gehülfen des Monarchen als des Trägers der Sou- 
veränetät; der Kaiser hat letztere Eigenschaft für das Reich nicht, trotzdem sind nach 
positivem Reichsstaatsrecht die Beamten als Gehülfen des Kaisers zu betrachten. 
Der Bundesrath wirkt nur ausnahmsweise bei Ernennung und Entlassung von Reichs- 
beamten mit. 
3) Der Kaiser hat die „völkerrechtliche“ Vertretung des Reiches (RVerf. Art. 11, 
Abs. 1). Doch sind die Konsequenzen dieses Grundsatzes noch nicht in korrekter 
Weise gezogen, indem die Bundesglieder noch das aktive und passive Gesandtschafts- 
recht bei auswärtigen Staaten ausüben und selbst Staatsverträge mit fremden 
Staaten im Rahmen der ihnen verbliebenen Autonomie abschließen können, während 
beides prinzipiell als unstatthaft erscheint. Nur bezüglich der handelspolitischen 
Vertretung des Reiches nach außen (Konsularwesen) ist die „völkerrechtliche“ Einheit 
des Reiches vollkommen durchgeführt (RVerf. Art. 56). 
4) Der Kaiser ordnet und leitet theils in eigener Person theils durch den von 
ihm allein zu ernennenden Reichskanzler (RVerf. Art. 15, 17; s. auch unten „Reichs- 
kanzler“) die Reichsgeschäfte im Innern. Auch der Bundesrath kann juristisch nur 
thätig werden auf Grund der vom Kaiser erfolgten Berufung und der Kaiser allein 
hat auch das Recht, denselben zu schließen (Rerf. Art. 12; s. hierzu auch oben „Bun-
	        
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