Full text: Rechtslexikon. Zweiter Band. Gad - Otto. (2.2)

Kausalzusammenhang. 445 
K. stehen zwei zeitlich getrennte Ereignisse, sobald das spätere, um wirklich zu werden, 
des Daseins des früheren bedurfte und ohne dasselbe nicht existent werden konnte. 
Nur Veränderungen der Wirklichkeit sind durch das Band der Kausalität 
mit einander verknüpft; Objekte oder Zustände anstatt der an ihnen zu Tage 
tretenden, bzw. ihre Voraussetzung bildenden Veränderungen als Ursachen zu be— 
zeichnen, ist ebenso verwirrend, als wenn man, wie zuweilen geschieht, ein eine Mehr— 
heit von Veränderungen in sich schließendes begriffliches Ganzes oder gar 
einen abstrakten Begriff für eine Ursache ausgiebt. Bei Prüfung der Frage, 
ob ein bestimmtes Ereigniß ein ihm vorausgegangenes zu seiner Ursache habe, ist 
lediglich auf die thatsächlich von letzterem ausgeübte Wirksamkeit zu sehen. Läßt 
man dies außer Acht und stellt eine nicht ins Leben getretene Wirksamkeit einer 
thatsächlich wirklich gewordenen gleich, so gelangt man dazu, einen K. in Fällen 
anzunehmen, wo derselbe nicht existirt. Wenn Jemand einem Andern eine Wunde 
zufügt, von der Jedermann mit gutem Grunde überzeugt ist, sie sei unheilbar und 
werde binnen Kurzem den Tod herbeiführen, so steht, wenn der so Verwundete vom 
Blitz erschlagen wird, die Handlung des Thäters in gar keinem K. mit dem ein- 
getretenen Tode, und er hat alsdann bei vorhandenem rechtswidrigen Willen nicht, 
wie vielfach behauptet wird, für vollendete, sondern nur für versuchte Tödtung ein- 
zustehen. Andererseits büßt ein Ereigniß aber auch seine Ursachenqualität einem ihm 
zeitlich nachfolgenden gegenüber noch nicht dadurch ein, daß mit diesem letztern zu- 
gleich auch ein drittes demselben gleichfalls vorangegangenes Ereigniß durch das 
Band der Kaufalität verknüpft ist. Die Kette der Kausalität erscheint nämlich als 
eine endlose; jede eins ihrer Glieder bildende Veränderung deutet auf eine voraus- 
gegangene hin, welche mit Rücksicht auf sie als Ursache, mit Rücksicht auf eine ihr 
wieder vorausgegangene Veränderung aber als Wirkung erscheint. Ein wirklich ge- 
wordener Erfolg steht daher immer mit einer unendlichen Anzahl ihm voraus- 
gegangener Ereignisse im K., die in ihrer Totalität als Ursache im weiteren Sinne, 
von denen jedes einzelne aber als Ursache im engeren Sinne oder als ursächliches 
Moment bezeichnet werden kann. Daß jeder Erfolg nur das Resultat einer endlosen 
Anzahl von Ursachen im engeren Sinne bilden kann, erhellt schon aus dem Ursachen- 
begriff, unter den ein Ereigniß jedesmal dann fällt, wenn die Existenz eines ihm 
nachfolgenden sein vorheriges Auftreten nothwendig fordert. Für einen Erfolg ist 
aber nicht nur die ihm unmittelbar vorausgehende Veränderung, sondern 
ebenso auch die dieser letzteren vorausgehende — und so weiter fort — nothwendig. 
(Causa causae est causa causati.) Jede der unzähligen Ursachen eines Erfolges, 
dieselben mögen nun unter einander in K. stehen oder nicht, muß aber auch, da der 
Nothwendigkeitsbegriff keine Abstufungen zuläßt, von gleicher Bedeutung und Un- 
entbehrlichkeit für den Erfolg sein, und keiner einzigen von ihnen darf für die Her- 
stellung desselben ein Vorrang vor der andern eingeräumt werden (v. Buri). 
Bei Anwendung dieser Sätze auf die Schuldlehre ergiebt sich zunächst, daß, wo 
Jemandem ein Erfolg zur Schuld zugerechnet wird, indem seine Handlung als mit 
demselben im K. stehend erklärt ist, diese Handlung nur eine von unzähligen Er- 
folgsursachen sein kann. Zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit darf daher auch 
rücksichtlich des Thatmomentes nie mehr, als Mitwirkung zum Erfolge, gefordert 
werden. Die gegentheilige Ansicht, daß Jemandem ein Erfolg nur dann zuzurechnen, 
wenn er die alleinige lUrsache desselben sei, fand sich namentlich in der Lehre von 
der Tödtung durch die früher in Ansehen stehende Unterscheidung zwischen absolut 
und relativ letalen Verwundungen scharf ausgeprägt. Indem man nämlich zum 
vollendeten Verbrechen die absolute Tödtlichkeit der zugefügten Verwundung ver- 
langte, glaubte man in gewissen Fällen die objektive Bedeutung der letzteren für den 
eingetretenen Tod losgelöst und unabhängig von anderen Mitwirksamkeiten feststellen 
zu können; übersah dabei aber, wie sich die Gewinnung dieses Resultates jedesmal 
nur dadurch bewerkstelligen ließ, daß man sich den durch den konkreten Einzelfall
	        
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