Full text: Rechtslexikon. Zweiter Band. Gad - Otto. (2.2)

58 Gemeindebürgerrecht, Gemeindeverfassung. 
steht, die Gemeinde jedoch zur Aufnahme Aller, welche die gesetzlichen Erfordernisse 
erfüllen, verpflichtet ist und überdies in gewissen Fällen durch staatliche „Zutheilung“ 
heimathloser Leute unfreiwillig Angehörige empfängt. Wo aber dieses System noch 
gilt, hat das so begründete „„Deimatherecht“ („Einwohnerrecht“, „Einsassenrecht", 
„Beisitzerrecht", „Gemeindegenossenrecht“) doch seinen alten umfassenden Inhalt ein- 
gebüßt. Denn während es früher die Grundlage des Wohnrechts bildete, das Recht 
zur Gründung eines eigenen Hausstandes und vielfach auch das Recht zum Grund- 
besitzerwerb und zum Gewerbebetrieb verlieh, vor Allem aber den Anspruch auf 
Armennnterstützung erzeugte, sind alle diese Wirkungen jetzt vom Heimathsrecht los- 
gelöst. Ebenso fließt die Verpflichtung zur Tragung der Gemeindelasten nicht mehr, 
wie früher, aus dem Heimathsrecht, sondern aus dreimonatlichem Aufenthalt in der 
Gemeinde. Nur in dem Recht auf Benutzung der Gemeindeanstalten, in einem An- 
spruch auf leichteren Erwerb des Ortebürgerrechts und in dem ausschließlichen Anrecht 
auf den Genuß örtlicher Stiftungen kann sich noch heute ein besonderes Heimaths- 
recht neben dem Einwohnerrecht wirksam erweisen. Einzig und allein in Bayern 
hat das Heimathsrecht seine alte Bedeutung auch hinsichtlich der Armenunterstützung 
gewahrt. « 
Den Gemeindeangehörigen stehen die Gemeindefremden gegenüber, welche 
sich nur zeitweilig in der Gemeinde aufhalten, ohne dort einen Wohnsitz zu be— 
gründen. Dagegen sind die in den älteren Gemeindeordnungen oft vom Gemeinde- 
verbande eximirten sog. „staatsbürgerlichen Einwohner“ (Beamte, Militärs u. f. w.) 
heute als Gemeindeangehörige anzusehen, wenn sich auch partielle Befreiungen der- 
selben von den Gemeindelasten finden. Eine eigenthümliche Stellung schreiben die 
Gemeindeordnungen den sog. Forensen (Mark-, Flur= oder Feldgenossen) zu, 
welche im Gemeindebezirk begütert, aber nicht wohnhaft sind. In der Regel haben 
sie die Befugniß, für ihre Grundstücke die Gemeindeanstalten zu benutzen, müssen 
aber dafür auch die auf den Grundbesitz gelegten Gemeindelasten tragen. Darüber 
hinaus haben sie häufig selbst das Recht zur aktiven Theilnahme am Gemeindeleben. 
Außerdem kannten manche ältere Gemeindegesetze das eigenthümliche Verhältniß der 
Schutzgenossen, welche, ohne Gemeindeangehörige zu sein, kraft besonderer Ge- 
stattung das Wohnrecht in der Gemeinde und die Benutzung der Gemeindeanstalten 
erhielten, dafür auch bestimmte Abgaben zu entrichten hatten. Die Klasse der Schutz- 
genossen ist jedoch jetzt überall fortgefallen. 
2) Das Gemeindebürgerrecht im engeren Sinne (auch „Ortsbürgerrecht oder 
„Gemeinderecht“ genannt), d. h. die aktive Gemeindemitgliedschaft, ist auch heute 
überall von der bloßen Gemeindeangehörigkeit verschieden, während die früheren 
Unterscheidungen der Bürger in ungleich berechtigte Klassen (z. B. Groß= und Klein- 
bürger, Voll= und Schutzbürger u. s. w.) fast durchgängig beseitigt sind. In Bezug 
auf Erwerb und Verlust des Gemeindebürgerrechts aber weichen die Deutschen Gemeinde- 
ordnungen weit von einander ab. Insbesondere gehen sie auch hier wieder insofern von 
prinzipiell verschiedenen Gesichtspunkten aus, als sie theils das Gemeindebürgerrecht von 
selbst eintreten lassen, sobald bei einem Gemeindeangehörigen gewisse gesetzliche Voraus- 
setzungen vorliegen, theils eine förmliche Aufnahme in die Bürgerkorporation for- 
dern. Das erstere System gilt vor Allem in Preußen. Hier zieht in den Städten 
die Gemeindeangehörigkeit von selbst das (übrigens durch Gemeindebeschluß auch 
früher verleihbare) „Bürgerrecht“ nach sich, wenn sie ein Jahr gedauert hat, mit 
Preußischer Staatsangehörigkeit, Selbständigkeit und Alter von 24 Jahren ver- 
bunden ist, und entweder der Besitz eines Wohnhauses oder der selbständige Betrieb 
eines Nahrungsgewerbes oder eine bestimmte Steuerveranlagung resp. ein entsprechendes 
Einkommen hinzutritt. In den Landgemeinden korrespondiren die nach Provinzial- 
gesetz oder Ortsherkommen vertheilten „Gemeinderechte“ oder „Stimmrechte“, welche 
in den östlichen Provinzen meist ausschließlich mit dem bäuerlichen Grundbesitz ver- 
knüpft sind. Manche andere neuere Gemeindegesetze, wie die Bayer. Gemeindeordnung
	        
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