Gemeingefährliche Verbrechen. 69
meinden zur Unterhaltung übernommen wurden, waren jetzt als Interessentenwegg für
alle Zeiten urkundlich fixirt und blieben dem Publikum ebenso verschlossen wie die
Gemeinden jede Betheiligung an der Unterhaltung verweigerten. Die Beitragsver-
hältnisse der bäuerlichen Wirthe, Büdner 2c., durch die Rezesse urkundlich fixirt,
wurden nun eifersüchtig festgehalten, auch wo sie für die heutigen Wirthschaftsver-
hältnisse völlig inkongruent und unbillig wurden. Eine Neuertheilung der Gemeinde-
lasten war zwar durch Gemeindebeschluß mit Bestätigung der Aufsichtsbehörde vor-
behalten, aber nur unter heftigen Widersprüchen durchzuführen, und gestaltete sich
immer planloser und willkürlicher in Ermanglung jeder gesetzlichen Norm für die
Kommunalsteuern. Eben dadurch wurde die Verbindung von „Gutsbezirken“ und
Gemeinden zu größeren Wegeverbänden nahezu unausführbar, auch wo das evidenteste
Bedürfniß vorhanden war. Die Landeskulturgesetzgebung hatte zur Abhülfe schwerer
Mißstände zuerst an das Interesse des Einzelnen gedacht. Zum Schutz des
Publikums aber in dem Gebrauch öffentlicher Fahr= und Fußwege hatte die Preuß.
Gesetzgebung keine Popularklage gegeben, sondern alles dem freien Ermessen der
Ortspolizei überlassen. Zum Schutz der Einzelrechte wurde freilich an zahlreichen
Punkten der „Rechtsweg“ vorbehalten, ohne daß der Gesetzgeber daran gedacht hatte,
daß den Preuß. Gerichten ausreichende Normen für das Verhältniß der öffentlichen
und Privatwege fehlen. Die überall unzureichenden Vorschriften ließen sich nur
durch eine elastische Verwaltungspraxis ergänzen. Es war das persönliche Verdienst
der Ortsobrigkeiten (insbesondere der Gendarmen), wo in den östlichen Landestheilen
ein erträglicher Zustand erhalten wurde. Alle Verfügungen, Veränderungen, Ver-
legungen der Wege, die Umwandlung eines Interessentenwegs in einen öffentlichen
Weg, die Maßregeln zur Reparatur und Sperrung, Streitigkeiten über das Maß
der Benutzung öffentlicher Wege, vor Allem aber alle Streitpunkte der Unterhaltungs-
pflicht blieben einer ziemlich freien Verwaltung überlassen, mit Vorbehalt des Rechts-
weges für einzelne bestimmte Punkte, bei denen die Gerichte sich wiederum von
Entscheidungsnormen verlassen sahen.
Seit 1820 ist bei dieser Sachlage eine neue Wegeordnung in Preußen
vorbereitet, seit 1862 sind Entwürfe dazu dem Landtage vorgelegt, bis 1880 aber
noch nicht zu Stande gebracht worden. Es handelt sich dabei nicht nur um einen
Widerstand der zahlreich kollidirenden Interessen, sondern um eine Verwirrung des
Kommunalsteuersystems, welche durch die variablen Zuschläge zu den direkten Staats-
steuern entstanden, von Jahr zu Jahr unleidlicher geworden ist. Auch die Wege-
ordnung wird nicht in Gang kommen, bevor der Gesetzgeber sich nicht zu einem
durchgreifenden rationellen System von realen Kommunalsteuern entschließt, welches
wiederum ohne Aufopferung der Staatsgrund= und Gebäudesteuer sich nicht als
ausführbar erweisen wird.
Es war ein etwas gewagtes Unternehmen in diesen lückenhaften verworrenen
Zustand ein System der Verwaltungsrechtspflege einzuführen. Es ist dies
indessen in der Preuß. Kreisordnung v. 1872 88 61, 135 II. mit leidlich gutem
Erfolg gelungen.
Val. überhaupt den Art. Wegeordnung, insbesondere die sehr vorgeschrittenen Eng-
lischen und Französischen Wegeordnungen. — Ausführliche Uebersicht über die Verhältnisse in
Preußen geben die Motive zu dem G-segentwurf. von 1875 (Drucks. d. Abgeordh. Nr. 24). —
Die Lit. s. v. Wegeordnung. Gneist.
Gemeingefährliche Verbrechen sind diejenigen strafbaren Handlungen, bei
deren Begehung nach dem gewöhnlichen Laufe der Dinge eine von dem Thäter meist
nicht vollständig übersehene oder zu übersehende Gefahr in größerem Umfange für
Menschen (Leben oder Gesundheit) oder Eigenthum wahrscheinlich ist.
Das Gem. R. bot für die Entwicklung der Lehre von den g. V. nur geringen
Stoff. Seit Ende des vorigen und besonders im Anfange dieses Jahrhunderts be-
mühte sich daher die Doktrin, einen Begriff der Gemeingefährlichkeit festzustellen und