Full text: Rechtslexikon. Zweiter Band. Gad - Otto. (2.2)

758 Militaͤrpflicht. 
1806, Leipzig 1847, S. 289). Außer den eingestellten Inländern hatte jedes 
Regiment noch eine bestimmte Anzahl von Mannschaften geworbener Ausländer; 
diese blieben bei den Fahnen, durften jedoch bis zu einer festgesetzten Zahl als sog. 
Freiwächter außer der Exerzirzeit, wenn sie zum Wachtdienst nicht nothwendig 
waren, im Orte beurlaubt werden, um sich auf ihr Gewerbe oder mit sonstiger 
Handarbeit ihr' Brod zu verdienen; sie erhielten während solcher Beurlaubungen 
weder Löhnung noch Kost, die daraus entstehenden Ersparungen gehörten zum recht- 
lichen Einkommen der Kompagnie= resp. Eskadronschefs. Das ursprüngliche Kan- 
tonreglement war übrigens im Laufe der Zeit mannigfach modifizirt:; in den letzten 
Zeiten war maßgebend das Reglement vom 12. Februar 1792, „wie in den Königl. 
Staaten, mit Ausschluß Schlesiens, bei Ergänzung der Regimenter mit Einländern 
verfahren werden soll“. Das Allg. LR. Th. II. Tit. 10 § 52 enthält lediglich 
die Bestimmung: „Welche Klassen der Einwohner des Staats zu den Kantonisten 
gehören, und was in diesen Klassen für Entschuldigungsursachen vom wirklichen 
Kriegsdienste stattfinden, ist in den Kantonreglements verordnet.“ Dagegen zeigt 
das Allg. R. eine Reihe tiefgreifender Folgen, welche die Kantonpflicht allmählich 
auf das Unterthänigkeitsverhältniß ausgeübt hatte (II. 7 § 534 ff.). Das Kan- 
tonreglement war in der That nach Droysen's Ausdruck der erste Schritt zum 
Staatsbürgerthum gewesen; in der Uebernahme dieser ersten staatlichen Pflicht traten 
die Gutsunterthanen zum ersten Male mit dem Staate in Berührung. 
Bereits in den Kriegsartikeln für die Unteroffiziere und gemeinen Soldaten vom 
3. August 1808 hatte sich der König in Art. 1 dahin ausgesprochen, daß künftig 
jeder Unterthan des Staats ohne Unterschied der Geburt, unter den noch näher zu 
bestimmenden Zeit= und sonstigen Verhältnissen zum Kriegsdienste verpflichtet werden 
solle, und ebenso ist in der Verordnung wegen der Militärstrafen von demfelben 
Tage hervorgehoben, daß die allgemeine Militärkonskription in der Folge junge 
Leute von guter Erziehung und feinem Ehrgefühl als gemeine Soldaten unter die 
Fahnen stellen werde. Dessenungeachtet wurde in den folgenden Jahren hinsichtlich 
der M. nichts geändert, das Kantonreglement von 1792 blieb in vollster Kraft. 
Die im Edikte vom 11. März 1812 den zu Einländern und Preußischen Staats- 
bürgern erklärten Juden prinzipiell auferlegte M. blieb zunächst ohne alle Wirkung, 
weil das Nähere hinsichtlich derselben einer besonderen Verordnung vorbehalten wurde. 
Selbst die Bekanntmachung vom 3. Februar 1813 in Betreff der zu errichtenden 
Jägerdetachements trug noch Bedenken, den Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht 
zur Durchführung zu bringen, denn diese Bekanntmachung wendet sich zwar „beson- 
ders an diejenige Klasse der Staatsbewohner, welche nach den bisherigen Kanton- 
gesetzen vom Dienste befreit sind“, sie war aber weit davon entfernt, den Kriegsdienst 
dieser Klasse direkt erzwingen zu wollen, und bedrohte die Säumigen nur mit dem 
Nachtheile des Ausschlusses von Stellen, Würden und Auszeichnungen, und sie ver- 
langte außerdem den Kriegsdienst nur „in einer der Erziehung und den übrigen 
Verhältnissen dieser Klasse angemessenen Form“, so daß die ausdrückliche Bestim- 
mung nothwendig schien, „sie sind übrigens den allgemeinen militärischen Gesetzen 
unterworfen“. (Vgl. auch die fernerweite Bestimmung über die Verhältnisse der 
Jägerdetachements vom 19. Februar 1813.) Erst die Verordnung vom 9. Februar 
1813 hob die bisherige Exemtion von der Kantonspflichtigkeit mit der Maßgabe 
auf, daß Diejenigen, welche sich nicht binnen acht Tagen zum freiwilligen Dienst 
bei den Jägerabtheilungen melden — mit der Verpflichtung, sich selbst zu bekleiden 
— nach näherer Bestimmung der Militärbehörde bei einer beliebigen Truppenabthei= 
lung eingestellt werden sollen. Diese Verordnung hatte jedoch nur Geltung für die 
Dauer des Krieges. Zur Ausführung derselben ergingen die beiden Verordnungen 
vom 22. Februar 1813 über das Ausweichen des Kriegsdienstes, und wegen Tra- 
gens der Preußischen Nationalkokarde. Dieselbe wird ergänzt durch die Verordnung 
über die Organisation der Landwehr vom 17. März 1813 (Ges. Samml. S. 36
	        
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