Full text: Rechtslexikon. Zweiter Band. Gad - Otto. (2.2)

800 Mora. 
Die Aufforderung zur Abnahme kann nicht nur vom erfüllungsfähigen Schuldner, 
sondern von jedem der geschuldeten Leistung in ihrer vollen Bestimmtheit Fähigen 
und zu ihrer Vollziehung Bereiten ausgehen; sie muß ergehen an den der Abnahme 
fähigen Gläubiger oder einen zur Vertretung des Gläubigers in dieser Sache Legiti- 
mirten. Gegenstand der Aufforderung ist die Abnahme der ganzen geschuldeten Leistung, 
soweit nicht der Schuldner zur Theilung der Leistung befugt ist. Ohne Bedeutung ist die 
vorzeitige Aufforderung; ist aber die Verbindlichkeit nur deshalb noch nicht erfüllbar, 
weil eine die Erfüllbarkeit bedingende Handlung (z. B. Wahl) des Gläubigers noch 
nicht erfolgt ist, so geräth er dadurch in M., daß er die Aufforderung zu dieser nicht 
befolgt. Der Ort der Aufforderung ist, falls diese wirklich entgegengenommen wird, 
gleichgültig; dagegen braucht die an unschicklichem Orte erfolgende Aufforderung 
nicht beachtet zu werden. Vom Orte der Aufforderung ist natürlich zu unterscheiden 
der durch den Inhalt der Verbindlichkeit sich bestimmende Ort, an welchem die 
abgunehmende Leistung bereit stehen muß. Indem man gemeinhin jene Aufforderung 
als Oblation bezeichnet und in die zwei Arten der Verbal= und Realoblation zerlegt, 
vermengt man in unzulässiger Weise die beiden Momente der Aufforderung und des 
Bereitstehens zur Abnahme. 
Der wirklich erfolgten Aufforderung steht auch hier gleich der soweit als möglich 
durchgeführte Versuch derselben, welcher am Ausbleiben ihrer Entgegennahme scheiterte. 
2) Als weiteres Erforderniß für die M. des Gläubigers bezeichnet man vielfach 
eine nicht blos objektiv, sondern auch für das eigene Bewußtsein des Gläubigers 
ungerechtfertigte Unterlassung der Abnahme. Doch findet dieses Erforderniß weder 
in den Quellen, noch in der Bedeutung der M. creditoris die erforderliche Be- 
gründung, vielmehr beruht seine Aufstellung wesentlich auf der in diesem Punkte 
mit Unrecht geltend gemachten Analogie der M. debitoris. Daß insbesondere der 
seine Forderung nicht kennende Gläubiger nicht in Verzug der Annahme gerathe, 
ist eine jn ihrer theoretischen Begründung, wie durch ihre praktischen Folgen gleich 
unhaltbare Annahme. Eine andere Frage ist die, ob die M. nicht wenigstens aus- 
geschlossen ist, wenn dem Gläubiger die Abnahme ohne seine Schuld unmöglich war. 
Auch für diese Annahme fehlt es aber an Belegen; daß vielmehr, was allein die 
M. creditoris fordert, das Ausbleiben der Erfüllung per actorem stetit, wird im 
Falle eines jeden in der Person des Gläubigers, wenn auch nicht in einer Ver- 
schuldung desselben begründeten Hindernisses der Abnahme angenommen. 
C. Die M. des Gläubigers bewirkt für den Schuldner eine Ermäßigung seiner 
Haftung, sowie die Möglichkeit seiner gänzlichen Befreiung ohne Zuthun des Gläubigers. 
1) Eine geringere wird die Haftung des Schuldners sowol in ihrer unmittel- 
baren, als in ihrer mittelbaren Wirkung. 
a) Jede fernere Geltendmachung der Forderung ist bedingt durch Ersatz des 
Interesses rechtzeitiger Abnahme (1. 38 § 1 D. de act. emt. 19, 1). 
b) Jede Haftung des Schuldners für casus und levis culpa erlischt; und auch 
die Genusobligation erlischt durch Untergang der zu ihrer Erfüllung bereit gehal- 
tenen Sachen (I.I. 5, 17 D. de pr. 18, 6; 1. 72 per. D. de sol. 46, 3). 
c) Einer Gegenforderung des Schuldners steht die Berufung darauf, daß seine 
eigene Verbindlichkeit noch nicht getilgt ist, nicht mehr entgegen (I. 13 § 8 D. de 
act. emt. 19, 1; 1. 36 D. loc. 19, 2). 
2) Hat auch der Schuldner dem Gläubiger gegenüber keine Forderung auf 
Abnahme der Leistung, so kann er doch auch wegen ihrer Unterlassung durch ein- 
seitige Handlung sich befreien, so 
a) durch Deposition der geschuldeten Sachen oder OQuantitäten beim Gerichte 
eines Ortes, den der Schuldner als Erfüllungsort zu behandeln befugt ist. Doch 
ist hier die Befreiung des Schuldners dadurch bedingt, daß er nicht die deponirten 
Sachen sich zurückerstatten läßt (I. 1 § 3; l. 7 D. b. t.).
	        
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