86 Genofssenschaften.
In Deutschland hat, da weder das allgemeine Vereins= oder Gesellschafts-
recht, noch das besondere Recht der Handelsgesellschaften ausreichend war, zuerst das
Preußische Genossenschaftsgesetz vom 27. Märg 1867 und dann das aus diesem
hervorgegangene Genossenschaftsgesetz des Norddeutschen Bundes vom 4. Juli 1868
ein Spezialrecht für solche auf Solidarhaft beruhende Erwerbs= und Wirthschafts-
G. geschaffen, welche sich durch Erfüllung der vom Gesetz geforderten Be-
dingungen unter dasselbe stellen. Dieses Gesetz ist in ganz Hessen, Baden und
Württemberg, zugleich mit der Reichsverfassung, in Elsaß-Lothringen 1872, in Bayern,
wo bis dahin ein besonderes Genossenschaftsgesetz vom 29. April 1869 galt, durch
Reichsgesetz vom 23. Juni 18783 als Reichsgesetz eingeführt worden. Ein in den
Grundzügen übereinstimmendes Genossenschaftsgesetz vom 9. April 1873 gilt in
Oesterreich. Nach dem Deutschen Gesetz können „Gesellschaften von nicht geschlossener
Mitgliedergahl, welche die Förderung des Kredits, des Erwerbes oder der Wirthschaft
ihrer Mitglieder mittels gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebes bezwecken“, namentlich
Vorschuß= und Kredit-, Rohstoff= und Magazin-, Konsum-, Wohnungs= und Pro-
duktiv-G., unter Voraussetzung der Solidarhaft und anderer gesetzlich geforderter
Garantien durch Eintragung in ein gerichtliches Register die Rechte einer
„eingetragenen Genossenschaft" und damit vor Allem das Recht juristischer Perfön=
lichkeit erlangen. Die G. bleibt jedoch eintragungsfähig, wenn ihr Statut nebenbei
die Ausdehnung des Geschäftsbetriebs auf Nichtmitglieder gestattet (RGes. vom
19. Mai 1871). Der Eintragung muß ein schriftlich beurkundeter konstituirender
Akt vorangehen, den die Mitglieder entweder unterzeichnet oder auf den sie in einer
schriftlichen Beitrittserklärung Bezug genommen haben. Staatsgenehmigung ist nicht
erforderlich, das Statut muß aber den gesetzlichen Normativbestimmungen entsprechen.
Dazu gehört neben der Solidarhaft namentlich auch die Annahme einer Firma,
welche eine unpersönliche sein muß und den formalen Zusatz „eingetragene Genossen-
schaft“ enthalten soll. Mit der Anmeldung zum Genossenschaftsregister ist zugleich
das Statut und ein Mitgliederverzeichniß dem Gericht zu überreichen. Der Ein-
tragung folgt die Veröffentlichung eines Auszuges. Jede Abänderung des Statuts
ist ebenfalls anzumelden, einzutragen und zu veröffentlichen, auch das Mitglieder-
verzeichniß auf Grund vierteljährlicher Anzeigen über Ein= und Austritt und jähr-
licher Neuverzeichnisse fortlaufend zu berichtigen. Erst mit der Eintragung entstehen
die eigenthümlichen Rechtsverhältnisse einer „eingetragenen G.“. Diese ist ihrer Zu-
sammensetzung nach eine wirthschaftliche Personalgenofsenschaft, welche aber
ein Genossenschaftskapital nothwendig bilden muß und diefes in den Vereins-
organismus hineinzieht. Die Mitgliedschaft ist daher an sich rein persönlich; sie
wird erworben durch Aufnahme, verloren durch den stets nach Kündigung frei
stehenden Austritt oder den in gewissen Fällen (namentlich stets auch ohne statuta-
rische Festsetzung bei Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte) zulässigen Ausschluß; sie
ist unübertragbar und im Zweifel unvererblich. Allein für den Einzelnen wird durch
Einlagen, Beiträge und Gewinnabschreibungen zwangsweise ein Geschäftsantheil (Gut-
haben) gebildet, ein mit seinem Genossenrecht organisch verbundener und daher bei be-
stehender Mitgliedschaft der Privatverfügung entzogener Anspruch gegen den Verein,
welcher sich aber bei Fortfall des Genossenverbandes sofort in ein rein individuelles
Forderungsrecht verwandelt. Ebenso ist dem Inhalt nach das Recht jedes „Genossen=
schafters“ an sich dem des andern gleich, giebt daher namentlich im Zweifel gleiches
Stimmrecht in den Angelegenheiten der G.; die materielle Betheiligung aber kann
eine verschiedene sein und deshalb wird in Ermanglung einer statutarischen Be-
stimmung Gewinn und Verlust nach Geschäftsantheilen vertheilt; der Verlust jedoch
nur, soweit die Geschäftsantheile reichen, im Uebrigen nach Köpfen. Die Verfassung
der G. ist ähnlich wie die der Aktiengesellschaft vor der Novelle geordnet. Haupt-
organ ist die Generalversammlung der Genossenschafter, nothwendig ist aber außerdem