Genofsenschaften. 87
ein gewählter, gerichtlich anzumeldender Vorstand, welcher sich nach innen als eine
an ihren Auftrag gebundene, stets absetzbare, verantwortliche Vollzugsbehörde dar-
stellt, nach außen aber die G. unbedingt vertritt und unmittelbar berechtigt wie
verpflichtet. Dazwischen steht in der Regel noch ein Ausschuß (Verwaltungsrath,
Aufsichtsrath) der, wenn er bestellt ist, die gesetzlichen Befugnisse eines repräsentativen
Kontrolorgans (z. B. Berufung der Versammlung, Suspension der Beamten, Ver-
tretung der G. bei Prozessen oder Verträgen mit dem Vorstand) ausübt. Die so
organisirte G. hat die Rechte einer juristischen Person. Sie kann unter ihrer Firma
Rechte und Verbindlichkeiten haben, Eigenthum und dingliche Rechte erwerben, vor
Gericht klagen und verklagt werden. Dabei gilt sie ohne Rücksicht auf die Art ihres
Geschäftsbetriebes als Kaufmann. Unter besonderer Staatsaussicht steht sie nicht:
Publizität, civilrechtliche Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder, Androhung von
Ordnungsstrafen und schlimmsten Falls Auflösung durch Richterspruch bieten genügende
Garantien; die Auflösung durch Richterspruch tritt wegen gesetzwidriger, das Ge-
meinwohl gefährdender Handlungen oder Unterlassungen oder wegen Verfolgung an-
derer als der im Gesetz bezeichneten geschäftlichen Zwecke ein. Als juristische Person
ist die G. Eigenthümerin ihres gesammten Vermögens, so daß der Unterschied von
Genossenschaftsvermögen und Mitgliedervermögen, welches letztere für die Deckung der
Mitgliederguthaben bestimmt ist, nur als ein rechnungsmäßiger erscheint. Umgekehrt
haftet auch die G. als folche zunächst für ihre Verbindlichkeiten; es treten indeß
kraft eines durch Statut nicht abänderlichen Satzes die Genossenschafter solidarisch
mit ihrem ganzen Vermögen als Bürgen hinter die Genossenschaftsperfönlichkeit. In
erster Reihe daher kann nur die G. als solche verklagt werden: sobald aber diese
untergegangen ist und ihr Vermögen beim Konkurse oder bei der Liquidation nicht
ausreicht, haftet jeder Einzelne für das Ganze. Die Härte dieser Solidarhaft wird
jedoch gemildert durch eine zweijährige Klagenverjährung zu Gunsten ausgeschiedener
Genossen oder der Mitglieder einer ausgelösten G. Und besonders ist durch das
Reichsgesetz ein dem Preußischen Gesetz noch unbekanntes Verfahren exekutivischer
Zwangsumlage eingeführt, wodurch die Ausfälle unter die verschiedenen Haftpflich-
tigen vertheilt werden.
G., welche das Prinzip der Solidarhaft nicht acceptiren, wollen, müssen sich
hiernach mit dem gewöhnlichen Vereins= und Gesellschaftsrecht begnügen, sofern sie
nicht etwa eine spezielle staatliche Inkorporirung erlangen. Dagegen hatte das
Bayerische Genossenschaftsgesetz im zweiten Hauptstück besondere Bestimmungen für „G.
mit beschränkter Haftpflicht“ getroffen, so daß auch diese, wenn sie gewisse gesetzliche
Bedingungen erfüllten und in ihre Firma den Zusatz „registrirte Gesellschaft
mit beschränkter Haftpflicht“ aufnahmen, die Rechte der Persönlichkeit erlangten. Mit
der Einführung des Reichsgesetzes in Bayern ist diese Möglichkeit für die Zukunft
leider auch hier fortgefallen. Doch bleiben die „registrirten Gesellschaften“, welche
vor dem 1. August 1873 eingetragen sind, unter der Herrschaft des alten Gesetzes
bestehen. Auch können G., welche nicht auf Erwerb, Gewinn oder eigentlichen Ge-
schäftsbetrieb abzielen, nach einem besonderen Bayerischen Gesetz über Vereine vom
gleichen Datum als „anerkannte Vereine“ die Rechtsfähigkeit erwerben. Wieder einen
andern Weg schlägt das Sächsische Gesetz über juristische Personen ein; es bezeichnet
als G. alle Vereine mit juristischer Persönlichkeit und läßt somit diejenigen Vereini-
gungen, welche sich nicht unter das Reichsgenossenschaftsgesetz stellen wollen, unter
verschiedenen Modalitäten die Rechte einer nach Landesgesetz eingetragenen G. er-
langen. Vollkommen frei stellt das Oesterreichische Genossenschaftsgesetz die Wahl
der Haftform; G. können hier sowol mit unbeschränkter als mit beschränkter Haftung
ihrer Mitglieder errichtet werden, was durch einen entsprechenden Zufsatz in der
Firma der „registrirten G.“ kenntlich gemacht wird; im zweiten Falle haftet jeder
Genossenschafter nur bis zu einem bestimmten, im Voraus festgesetzten Betrage.