Full text: Rechtslexikon. Zweiter Band. Gad - Otto. (2.2)

Gerichtsärzte. 91 
im Gegensatz zu den Romanischen Ländern, wo es keine eigens gebildete und ange— 
stellte G. giebt und gewöhnliche Aerzte, selbst solche niederer Kategorie (officiers 
de santé) vollgültige Experten sind. Durch jene Einrichtungen, wozu noch ein 
medizinischer Instanzenzug kommt, wird in Germanischen Ländern die Sicherheit und 
Brauchbarkeit der gerichtsärztlichen Leistungen mächtig gefördert. Die Gesetzgebung 
dieser Staaten verzichtet aber nicht gänzlich auf die gerichtsärztliche Leistung 
nicht berufsmäßiger Aerzte, wenn besondere Umstände (erforderliche tiefere Fach- 
kenntnisse in befonders schwierigen Fällen oder Nichtbeschaffbarkeit eines „Ge- 
richtsarztes“ in besonders dringlichen Fällen) es erfordern. Während der amtliche 
Gerichtsarzt unweigerlich einer gerichtlichen Aufforderung zu ärztlicher Thätigkeit in 
koro Folge leisten muß, kann billigerweise für einen nicht berufsmäßigen Arzt ein 
Zwang, als Sachverständiger in foro thätig zu sein nur unter gewissen Um- 
ständen (D. Straf O. § 75 und CPO. 88§ 372, 373) eintreten. Der allgemeinen bür- 
gerlichen Pflicht eines Zeugen kann sich dagegen Niemand entschlagen. 
Der Thätigkeit des Gerichtsarztes muß die Beeidigung vorhergehen (D. Straf PO. 
§ 79). Bei angestellten G. genügt die Erinnerung an bzw. Berufung auf den ge- 
leisteten Diensteid. 
Die forensischen Leistungen des Gerichtsarztes können sein: 
1) Die Untersuchung von Subjekten (fragliche Zeugungsfähigkeit, Zeichen ge- 
setzwidriger Befriedigung des Geschlechtstriebes, vorhandene Schwangerschaft, er- 
folgte Geburt, fragliche Körperverletzung, zweifelhafter Geisteszustand 2c.) und Ob- 
jekten (Samen= und Blutflecke, chemischer Nachweis von Gift, Untersuchung von 
Waffen u. dgl. bezüglich ihrer Tauglichkeit zur Gesundheitsbeschädigung und Tödtung, 
Leichenschau und Leichenöffnung 2c.). 
2) Niederlegung des Untersuchungsbefunds in einem Protokoll (Befundbericht, 
Krankheitsgeschichte). 
3) Mündliche oder schriftliche Abgabe des Gutachtens über den Befund. 
Eine gerichtsärztliche Untersuchung findet in der Regel in Gegenwart des Unter- 
suchungsrichters und eines beeideten Protokollführers statt, um die volle Sicherheit 
einer gerichtlichen Beweisaufnahme zu gewinnen und damit Richter und Gerichtsarzt 
sich gegenseitig auf für den Thatbestand wichtige Umstände aufmerksam machen 
können, zudem der Richter in der Lage ist, mit eigenen Sinnen den Thatbestand 
wahrzunehmen. Der Richter hat dabei, soweit es ihm erforderlich scheint, die Thätig- 
keit der Sachverständigen zu leiten (D. Straf P O. § 78). 
Anders ist es bei zeitraubenden mikroskopischen und chemischen Untersuchungen, 
bei Aufnahme des Befunds der Geschlechtsorgane von Frauenspersonen, bei Geistes- 
zustandsuntersuchungen im Kriminalforum, wo die Gegenwart einer Gerichtskommission 
unnöthig, zeitraubend, unschicklich oder für den Zweck der Untersuchung störend wäre 
(Oesterr. StrafP O. § 123, Deutsche StrafP O. § 78). 
Die Auswahl der zuzuziehenden Sachverständigen und die Bestimmung ihrer 
Anzahl erfolgt durch den Richter (D. StrafP O. § 73). Die Oesterr. Straf P O. 
§ 118 verlangt in der Regel zwei Sachverständige, nur in unerheblichen Fällen ge- 
nügt einer. Wo allgemeine Normen über das formelle Vorgehen des Gerichtsarztes 
möglich sind, enthalten sie die bezüglichen StrafPp O. (Oesterr. §§ 122, 124; Deutschl. 
§§ 87—910). Dies gilt namentlich für die Vornahme der Leichenöffnung (Oesterr. 
Vorschrift vom 28. Jan. 1855 und Preuß. Regulativ für gerichtliche Leichenöffnungen 
vom 6. Januar/13. Februar 1875). 
Die Stellung des als Experten vor Gericht berufenen Arztes ist gleich der eines 
jeden anderen Sachverständigen. Sie sind nicht bloße Zeugen, denn sie berichten 
nicht blos Sinneswahrnehmungen, sondern sie ziehen aus einer Reihe solcher That- 
sachen wissenschaftliche Schlüsse, belehren den Richter über Umfang und Bedeutung jener. 
Eine Berufung Sachverständiger kann jederzeit im Verlauf einer Rechtsfrage 
erfolgen (Voruntersuchung, Hauptverhandlung). Der Sachverständige muß über Zweck
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.