Full text: Rechtslexikon. Zweiter Band. Gad - Otto. (2.2)

92 Gerichtsärzte. 
und Umstände der Untersuchung aufgeklärt werden. Es ist ihm gestattet (D. StrafP O. 
*# 80; Oesterr. Strafp O. 5 83) Akteneinsicht zu nehmen, eine Ergänzung des Unter- 
suchungsmaterials durch neue zengenvernehmungen 2c. zu beantragen, auch den 
Vernehmungen beizuwohnen und unmittelbar an Zeugen oder Beschuldigte Fragen 
zu stellen. 
Im weiteren Verlauf der Untersuchung kann der Richter weitere Sachverständige, 
salls ihm dies von Vortheil erscheint, zuziehen (Oesterr. Strafp O. § 125, 126; 
D. Straft O. § 83). In wichtigen Fällen kann das Gutachten einer Fachbehörde 
eingeholt werden. 
Nach der D. 6CPO. § 369 erfolgt die Auswahl der zuzuziehenden Sachverstän- 
digen und die Bestimmung ihrer Anzahl durch das Prozeßgericht. Dasselbe kann sich 
auf die Ernennung eines einzigen Sachverständigen beschränken. Es kann an Stelle 
des zuerst ernannten Sachverständigen Andere ernennen. Das Gericht kann die Par- 
teien auffordern, Personen zu bezeichnen, die geeignet sind, als Sachverständige ver- 
nommen zu werden. Einigen sich die Parteien über bestimmte Personen als Sach- 
verständige, so hat das Gericht dieser Einigung Folge zu geben. Das Gericht kann 
jedoch die Wahl der Parteien auf eine bestimmte Zahl beschränken. 
Vor der Hauptverhandlung im StrasPrz. steht es in Oesterreich sowol dem 
Staatsanwalt als dem Vertheidiger zu, zu verlangen, daß noch andere als die 
vom Gerichtshof designirten Sachverständigen berufen werden (StrafP O. 8§ 222, 225). 
Darüber entscheidet der Gerichtshof. Im Fall der Ablehnung kann das Verlangen 
nochmals in der Hauptverhandlung gestellt werden. Im Ablehnungsfall ist der 
Vertheidiger außer Stand, zu Gunsten seines Klienten lautende Gutachten bedeu- 
tender Fachmänner, die nur die Bedeutung von Privatansichten hätten, zur Geltung 
zu bringen, im Gegensatz zu Deutschland (StrafP# O. §§ 218, 219), Frankreich und 
England, wo Ankläger wie Vertheidiger soviel Sachverständige nach ihrer Wahl mit oder 
ohne Zustimmung des Gerichts laden können als ihnen beliebt. Am exponirtesten 
ist die Stellung des Sachverständigen in der Hauptverhandlung, wo er mit seinem 
ganzen Wissen und Können für seine wissenschaftliche Ueberzeugung eintreten muß. 
Noch schwieriger ist seine Lage, wenn er erst in dem Verlauf der Verhandlung 
(D. Straft O. § 243; Oesterr. Strafß O. §§ 220, 254) berufen, kaum aufgeklärt 
über die bisherigen Ergebnisse der Untersuchung, das Kreuzverhör von Staatsanwalt, 
Vertheidiger, Vorsitzendem, Beisitzern, Geschworenen (Oesterr. StrafP O. 8§ 249, 315; 
D. Straf O. I§ 238 und 239) bestehen und sich auf Suggestivfragen gefaßt machen 
muß. Während in der Voruntersuchung es dem Richter überlassen war, ob die Sach- 
verständigen mündlich oder schriftlich ihre Gutachten zu erstatten hatten (D. Straf PO. 
§ 80), ist im Hauptverfahren nur mündlicher und freier Vortrag, bis auf seltene 
Fälle, wo Protokoll und Gutachten verlesen werden dürfen (Oesterr. StrafP O. § 252; 
D. StrafPP O. 88§ 250, 252) gesetzlich zulässig. 
Hier zeigt sich die Kenntniß und Erfahrung des tüchtigen Gerichtsarztes in 
hellem Licht und erprobt sich seine Tüchtigkeit. Er darf sich nicht verblüffen, ver- 
wirren lassen, muß seine Objektivität und Ruhe unter allen Umständen bewahren. 
Sache des Vorsitzenden ist es übrigens, ungeeignete oder nicht zur Sache gehörige Fragen 
zurückzuweisen (Oesterr. StrafP O. § 249; D. StrafP O. § 240). Mit der Einführung 
von Physikatsprüfungen und der Bestellung eigener G. sind große Fortschritte erzielt 
worden, aber man vergesse dabei nicht, daß damit nur Halbes erreicht ist, wenn 
der Gerichtsarzt nicht so besoldet ist, daß er ausschließlich seinem hohen und immer 
größere wissenschaftliche Anforderungen stellenden Beruf leben kann. Schlechte oft 
geradezu unwürdige Honorirung nöthigt den Gerichtsarzt zu Nebenerwerb und ver- 
schuldet es, daß er trotz Prüfung, Anstellung und Titel häufig genug seiner wissen- 
schaftlichen Aufgabe nicht gewachsen ist. Schon um der nöthigen Unbefangenheit dem 
Publikum gegenüber sollte der forensische Experte nicht zugleich praktischer Arzt sein 
und selbst die Kumulirung der Stelle des öffentlichen Sanitätsbeamten mit der
	        
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