Postliminium. 99
von Grotius noch festhalten, der mindestens vierundzwanzigstündige Besitz des
Schiffes durch den Kaptor, oder wenn, wie schon der Consolato del Mare (cap. 287)
bestimmte, das einmalige Bergen des Schiffes in einem neutralen bzw. zu der
Nationalität des Kaptor gehörigen Hafen oder unter dem Schutz eines Geschwaders
das frühere Eigenthumsrecht zerstört: vor Ablauf der Frist bzw. vor Erreichung
des betreffenden Hafens liegt überhaupt noch kein Verlust des Eigenthums vor,
welchen wieder aufzuheben, ein P. nothwendig wäre; nach Ablauf der Frist bzw.
nach Bergung des genommenen Schiffes giebt aber auch die Wiedernahme durch
ein Schiff derselben Nationalität dem ursprünglichen Eigenthümer sein Recht nicht
wieder. Da also, wo das jus postliminü nothwendig wäre, ist es völkerrechts-
mäßig ausgeschlossen.
Dieselben oder doch wesentlich gleiche Grundsätze sind trotz mannigfachen von
der Theorie erhobenen Widerspruchs als die für die vom Feinde im Landkriege ge-
machte völkerrechtsmäßige Beute geltenden zu bezeichnen: das frühere Eigenthum
lebt nicht wieder auf, sobald die Beute dem Feinde nach vierundzwanzigstündigem
Besitz oder einmaliger sicherer Bergung wieder abgenommen worden.
Sollten übrigens die bereits in mehreren Ländern wenigstens für die Reprise
von Schiffen und Gütern durch Kriegsschiffe ihres Heimathstaates anerkannten
und von der Missenschaft mit Eifer vertretenen Rechtsansichten der neueren Zeit,
welche allgemein darauf ausgehen, überhaupt der feindlichen Okkupation einer Sache
jede rechtliche Wirkung abzusprechen, zum Siege gelangen, so würde mit der Un-
möglichkeit eines Eigenthumsrechts des Feindes an den weggenommenen Sachen auch
der letzte Schein einer Anwendbarkeit des jus postliminii wegfallen, da dieses einen
eingetretenen Rechtsnachtheil zur Voraussetzung hat, um denselben durch
eine Fiktion wieder zu beseitigen.
Ist sonach im gegenwärtigen Völkerrechte eine analoge Anwendung des Röm.
jus postliminü auf die Rechte des Kriegsgefangenen und die Rechte an Sachen,
welche der Feind weggenommen hat, weder nöthig noch möglich, so dürfte es doch
als zulässig erscheinen, das P. zur Bezeichnung der rechtlichen Stellung anzuwenden,
in welcher sich eine vom Feinde während des Krieges aus ihrem ganzen Herrschafts-
gebiete oder doch aus einem Theile desselben verdrängte Regierung zu allen vom
Feinde ausgegangenen Verfügungen dann befindet, wenn sie wieder in den Besitz der
Herrschaft über das vom Feinde okkupirte Gebiet gelangt. Aber auch diese Meinung
ist nicht stichhaltig.
Hat nämlich die feindliche Okkupation nur einen einzelnen Landestheil oder
zwar das ganze Land, aber doch nur für kurze Zeit getroffen, war sie also nicht die
Folge einer vollständigen Vernichtung, einer debellatio der Landesregierung, so steht
fest, daß, weil die Landesregierung noch staats= und völkerrechtlich vorhanden und
deshalb widerstandsberechtigt ist, auch noch nicht von einer wirklichen Zwischen-
herrschaft oder Usurpation gesprochen werden kann, sollte selbst der Feind sich eine
wirkliche Regierungsgewalt angemaßt haben. So lange aber eine feindliche Invasion
oder Okkupation noch nicht auf der zweifellosen Thatsache der vollendeten Besitz-
ergreifung der Herrschaft über den debellirten Staat beruht, ist sie lediglich eine
thatsächliche, keine rechtliche Aufhebung der bisherigen staatlichen Ordnung. Die
Wiederherstellung der letzteren, überhaupt die Annullirung aller während der Okku-
pation ergangenen Verfügungen nach der Vertreibung des Feindes ist somit in
Wahrheit Nichts als die Herstellung der thatsächlichen Wirksamkeit einer Obrig-
keit, deren Recht auch während der feindlichen Okkupation unalterirt bestanden hat,
also nicht erst durch ein jus postlimini# wieder begründet werden muß.
Ist dagegen die Landesregierung vollständig vom Feinde vernichtet, debellirt,
der Landesherr depossedirt worden, oder hat eine Revolution die bisherige Verfassung
und die in ihr berufenen Träger der Staatsgewalt beseitigt, so hat der vertriebene
Staatsherrscher mit der thatsächlichen Möglichkeit eines Widerstandes gegen den
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