Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

12 Parentelenordnung. 
Innerhalb derselben Parentel kommen verschiedene Erbprätendenten nur als 
Descendenten ihres gemeinschaftlichen Stammvaters in Betracht. Die Verwandt- 
schaftsnähe kann in absteigender Linie nur in einer einzigen Weise, nämlich nach der 
Zahl der Zeugungen, bemessen werden. Es entscheidet also unter den Gliedern der- 
selben Parentel der Abstand vom Hauptstocke, so daß das dem Grade nach nähere 
das entferntere ausschließt. 
Die einzelne Parentel pflegt man wol auch als Linie zu bezeichnen und da 
innerhalb der Linie der Grad den Ausschlag giebt, so nennt man die P. auch 
Linealgradualordnung, ein Ausdruck, der wegen der Nebenbedeutungen des Wortes 
Linie im Verwandtschaftsbilde zu Mißverständnissen Anlaß geben kann und anderer- 
seits minder durchsichtig ist als jener. Durch die Bezeichnung Linealgradsystem 
wollte man die P. unterscheiden von einer angeblichen reinen Linealordnung, 
welche innerhalb der einzelnen Parentel auf die größere oder geringere Entfernung 
vom Hauptstocke gar keine Rücksicht nimmt. Die Existenz einer solchen Linealordnung 
muß geleugnet werden. Mit ihr ist nicht zu verwechseln eine Modifikation der 
P., welche durch allgemeine Zulässigkeit des Eintrittsrechtes entsteht, kraft dessen 
die Kinder eines vorverstorbenen Parens in die Erbportion eintreten, die dieser 
bekäme, wenn er erben würde. Dieses Eintritts= oder Repräsentationsrecht hat be- 
grifflich eine Rechnung nach Gliedern oder Graden zur Voraussetzung, da eben der 
nähere Grad durch den entfernteren repräsentirt wird. Wir haben es also auch bei 
einer derartig gestalteten P. mit einem Linealgradualsystem zu thun. 
Das Prinzip der P. findet sich dermalen im Lehnrechte, ferner in den 
Successionsordnungen des Adels, im Lüb. Recht, im Oesterr. BG., in einzelnen 
Sächs.-Thüring. Ländern, in Schweiz. Rechten (so namentlich im Züricher Gesetzbuch) 
und im Sächs. BGB., welches die Seitenverwandten von der dritten Parentel an 
nach der P. zum Erbe gelangen läßt. Die Englische Erbfolge in unbewegliches 
Gut beruht gleichfalls auf der Parentelenfolge. Auch das Indische Recht kennt sie. 
Unter den Germanisten ist es eine lebhaft ventilirte Streitfrage, ob die P. 
als das dem Deutschen Recht eigenthümliche Successionsprinzip zu betrachten sei. 
In der Deutschen Rechtswissenschaft ist sie zuerst durch Joh. Christ. Majer Ende 
des vorigen Jahrhunderts prinzipiell entwickelt worden. Vereinzelte Angriffe gegen 
das von ihm aufsgestellte System vermochten nicht zu verhindern, daß die P. zu 
allgemeiner theoretischer Anerkennung gelangte. In neuerer Zeit haben jedoch 
Siegel und Wasserschleben den Nachweis geführt, daß die Belege, durch welche 
man bis dahin die P. aus den Quellen begründete, nicht als durchschlagend gelten 
können. Beide haben zugleich der P. ein anderes Successionsprinzip als das eigent- 
lich deutsche gegenübergestellt. Wasserschleben ignorirt für die Seitenverwandt- 
schaft die Reihenfolge der Parentelen und bestimmt die Verwandtschaftsnähe blos 
dadurch, daß er den Abstand vom Hauptstocke mißt, also die Zeugungen vom gemein- 
schaftlichen Stammvater bis zum Erben herabzählt, mag jener nun der Vater, der 
Großvater oder irgend ein höherer Ascendent des Erblassers sein. Demnach würde 
also beispielsweise der Sohn meines Oheims von meinem Großoheim ausgeschlossen. 
Siegel will die Zählungsart, die im Deutschen und Kanonischen Recht zur Be- 
stimmung der Verwandtschaft zweier Personen dient, auch dann angewendet wissen, 
wenn es sich um die Bestimmung der Verwandtschaft mehrerer Personen zu einer 
dritten handelt, die mit dieser nicht denselben nächsten Stammvater gemeinschaftlich 
haben, also nicht derselben Parentel angehören. Für die Erbfolge werden sowol 
von Wasserschleben als von Siegel bestimmte Ausnahmen statuirt, um ihre 
Berechnungsweise einigermaßen mit den Quellen in Einklang zu bringen. Die 
Kontroverse, welche Siegel und Wasserschleben gegen ihre beiderseitigen positiven 
Aufstellungen führten, sowie neuere Arbeiten haben dargethan, daß weder Siegel's 
noch Wasserschleben's Theorie Anspruch auf quellenmäßige Begründung machen 
darf. Andererseits ist das Ansehen der P. wieder gefestigt und der Versuch ge-
	        
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