Reichsfinanzwesen. 383
der hierfür erforderlichen finanziellen Mittel eines alljährlich zu erneuernden Aus-
führungsgesetzes. Dabei ist die Regierung hinsichtlich der Ausgaben an die im Etat
vorgeschriebene Zweckbestimmung gebunden. Ersparnisse an den im Etat bestimmten
Ausgabepositionen, welche ohne Gefährdung des zu erreichenden Zweckes gemacht
werden können, dürfen demnach nicht ohne Weiteres auf andere Positionen übertragen
werden, es muß vielmehr über dieselben durch Nachtragsgesetz oder im nächstjährigen
Etat verfügt werden. Ebenso bedarf jede Mehrausgabe, die nicht im Etat vorgesehen
ist, gesetzlicher Unterlage; unzweifelhaft wird die Regierung in dringenden Fällen
auch ohne vorherige Bewilligung solche Mehrausgaben zu machen für befugt erachtet
werden müssen, vorbehaltlich jedoch immer der von der Volksvertretung zu erholenden
„Indemnität“. Wird dieselbe verweigert oder wird die Bewilligung des gesammten
Budgets von der Volksvertretung verweigert, so fehlen für solchen Fall Rechtssätze
gänzlich. Selbstverständlich wird in solchem Falle der Gang der Staatsverwaltung
nicht eingestellt werden dürfen, eine formell juristische Grundlage aber für diesen
Zustand wird vergeblich auf dem Wege künstlicher Konstruktionen gesucht werden.
Daß gerade bezüglich der staatlichen Finanzwirthschaft mehr als in allen übrigen
Funktionen des Staates ein Zuspitzen der geltenden Rechtssätze bis zu ihren äußersten
Konsequenzen leicht verhängnißvoll für das Staatsleben werden kann, daß die ruhige
Entwickelung eines Staates gerade auf diesem Gebiete mehr als auf jedem anderen
von einem verständnißvollen Zusammenwirken der Regierung und der Volksvertretung
bedingt ist, muß gewiß zugegeben werden. Dies berechtigt aber nicht dazu, die be-
stehenden Rechtssätze überhaupt als nicht vorhanden zu betrachten oder durch künst-
liche Konstruktionen oder Exemplifikationen auf fremde Rechtssysteme aus dem Wege
zu schaffen. Darin aber hat Gneist in jedem Falle Recht, daß unser Deutsches
Budgetrecht dringend der Vereinfachung bedarf; je mehr die Einnahme= und Aus-
gabepositionen auf wenige große Kategorien reduzirt werden (wie dies in England
der Fall), desto weniger Anhaltspunkte für muthwillige und frivole Konflikte werden
sich bieten, und die Regierung würde dadurch die gerade auf dem Gebiete der
Finanzwirthschaft erforderliche Freiheit der Bewegung gewinnen, welche durch das
geltende Recht und die dermalen geübte Praxis allerdings ungebührlich beschränkt ist
(vgl. d. Art. Budget und darin speziell die Angaben über das Englische Recht).
Der weitaus bedeutendste Bestandtheil der Ausgabepositionen des Reichshaus-
haltsetats ist der Militäretat (im Voranschlag für 1881/1882 372 Mill. Mark,
einschließlich der Marine bei einem Gesammtbetrag der Ausgaben von 597 Mill.
Mark). Bis zum Jahre 1875 hatte derselbe lediglich formelle Bedeutung, erst seit
1875 steht auch der Militäretat unter den allgemeinen Rechtsgrundsätzen über den
Hauptetat. Durch die Verfassung war dem Kaiser bis zum 31. Dez. 1871 und
dann weiterhin durch Spezialgesetz bis zum 31. Dez. 1874 eine Summe von
225 Thalern jährlich pro Kopf der auf 1 Prozent der Gesammtbevölkerung festgesetzten
Friedenspräsenzstärke des Heeres (401 659 Mann) zur Disposition gestellt worden.
Ueber diese Summe sollte allerdings Etat und Rechnung aufgestellt, aber dem
Bundesrath und Reichstag nur „zur Kenntnißnahme und Erinnerung“ vorgelegt werden
(Mierf. Art. 71 Abs. 2). Die gesetzgebenden Faktoren des Reiches hatten danach
bei Fixirung der finanziellen Bedürfnisse für das Reichsheer eine wirkliche staats-
rechtliche Kompetenz nicht, sondern lediglich eine mit keinerlei Rechtsfolgen verknüpfte
Kontrole. Seit 1875 sind dieselben jedoch auch für den Militäretat ganz in die
Befugnisse eingetreten, welche ihnen bezüglich der übrigen Etatspositionen zukommen.
Es können demnach auch bezüglich des Militäretats alle diejenigen Rechtsfolgen ein-
treten, welche überhaupt die parlamentarische Mitwirkung bei Feststellung des Etats
nach Deutschem Budgetrecht begleiten. Dies wird auch nicht ausgeschlossen durch
die Vorschrift der Verfassung, daß bei Feststellung des Etats die „gesetzlich feststehende
Organisation des Reichsheeres zu Grunde gelegt“ werden müsse (RVerf. Art. 62
Abs. 4); diese Bestimmung kann nicht den Sinn haben, als ob hierdurch eine Ab-