Schwurgericht. 633
Englands, den prozessualen Einrichtungen des Kontinents gegenüberstellt, Fortescue's
Lob des Englischen Rechts läßt sich des Ausführlicheren nur auf die Civiljury ein.
Ein Zeugenverhör vor der Kriminaljury wird nicht erwähnt, doch ist der ganze Zu-
sammenhang der Art, daß sich ein fester Schluß hieraus nicht ziehen läßt. Da-
gegen bietet eine Reihe von Statuten des 16. Jahrh. unzweifelhafte Beweise für
die Rechtssitte auch in Strafsachen Evidence zu geben (21 Henr. VIII. c. 11;
26 Henr. VIII. c. 4; 1 Edw. VI. c. 12; 1 & 2 Pbil. & Ma. c. 11, c. 13; 2 &
3 Phil. & Ma. c. 10; 31 Eliz. c. 4). Unter anderem findet sich auch die An-
weisung an die Friedensrichter und an die Coroners, daß sie alle Personen, die
über den Untersuchungsfall etwas wissen, zum Erscheinen vor der Jury verpflichten
sollen, um daselbst gegen die Partei Evidence zu geben (2 & 3 Phil. & Ma. c. 10).
Ein ziemlich anschauliches Bild des Verfahrens liefert Smith, De republica
Anglorum, II. c. 26. Nachdem die Jury gebildet worden ist, ergeht eine öffentliche
Aufforderung, es möge jeder vortreten, der Indicien liefern oder etwas gegen den
Angeklagten sagen wolle. Dann wird das Protokoll der friedensrichterlichen Unter-
suchung vorgelesen, sodann werden der Beschädigte, der Konstabler und jene, die
bei der Verhaftung zugegen waren, und sonstige Zeugen vernommen. Der An-
geklagte beschränkt sich bei Smith auf hartnäckiges Leugnen. Zeugen des An-
geklagten werden nicht erwähnt. Bei der Ausbildung des Zeugenverfahrens vor der
Kriminaljury ließ der Anschuldigungsbeweis den Vertheidigungsbeweis in seiner
Entwickelung lange Zeit weit hinter sich. Man mochte sich in den letzteren um so
schwerer hineinfinden, als ja formell schon die Jury selbst das vom Angeklagten
angerufene Vertheidigungsmittel war. Auch als man demselben bereits gestattet
hatte, Entlastungszeugen zu bringen, war es im Allgemeinen Rechtens, nur die An-
klagezeugen, nicht aber die Zeugen des Angeklagten zu beeidigen. Erst die Statute
7 Will. III. c. 3 (1695) und 1 Anna c. 9 (1702) haben jenes bei Hochverrath,
dieses überhaupt eine zwingende Vorladung der angegebenen Entlastungszeugen und
deren Vereidigung angeordnet.
Die oben angeführten Statute, welche das Vicinetum und das Erforderniß
von Hundredors betreffen, waren nicht auf die Kriminalsachen ausgedehnt worden.
Nur für Klagen aus penal statutes wurde gesetzlich (24 Ge. II. c. 18) Abhülfe
geschaffen. Im Uebrigen blieb das alte Recht, welches die Nachbarnqualität der
Geschworenen erheischte, für die Kriminaljury nominell in Kraft. Allein die Praxis
hat es ignorirt. Schon Lord Hale (Hist. of the Pleas of the Crown, vgl.
Thl. I. 261) vermag zu sagen, er erinnere sich nicht, daß der Mangel an Hun-
dredors je geltend gemacht worden sei; die Sheriffs nähmen bei der Auswahl
der Geschworenen nicht auf das spezielle Vicinetum, sondern nur auf die Grafschaft
im Allgemeinen Rücksicht. Die Parlamentsacte von 1825, 6 Georg IV. c. 50 an
act for consolidating and amending the laws relative to Jurors and Juries, hat
nur das bestehende Recht fixirt, als sie ohne Unterscheidung von Civil= und Straf-
sachen bestimmte, daß die Geschworenen aus der Grafschaft zu wählen seien ohne
Rücksicht auf irgend eine Hundertschaft, oder auf ein spezielles Vicinetum innerhalb
der Grasschaft.
Werfen wir einen Rückblick auf die tausendjährige Geschichte der Jury, so fällt
zunächst in die Augen, daß sie auf dem Boden, der ihre Keime ausgebildet hatte,
verkümmert und verschwunden ist, während sie in dem Lande, wo sie erst in Folge
der Normannischen Eroberung festen Fuß faßte, eine lange und reiche Entwickelung
durchmachte. Im Laufe dieser Entwickelung erfuhr sie eine vollständige Aenderung
ihres Wesens, so daß sie schließlich ein ganz anderes Gebilde zu sein scheint, als
sie ursprünglich gewesen. Aber nicht auf Grund gesetzgeberischer Reformen, sondern
auf dem Wege einer völlig sich selbst überlassenen gewohnheitsrechtlichen Umbildung
hat sich in England die alte Zeugengenossenschaft zur Urtheilsjury umgesetzt. Nicht
ein Erzeugniß urwüchsiger Verhältnisse, das allenthalben entsteht, wo dem Volke