Trauung, Trauformular, Trauordnung. 909
Es war daher im Grunde ein Irrthum über das Wesen der T., herbeigeführt
durch die lange Gewohnheit, dieselbe zugleich als den Eheschließungsakt zu denken,
oder auch eine übertriebene Angst vor Mißverständnissen, welche nach Erlaß des
Reichscivilstandsgesetzes vom 6. Februar 1875 eine allgemeine Umänderung der
Trauformulare in den Deutschen evangelischen Landeskirchen veranlaßte. Aber das
Wesen der T. selbst ist damit nicht geändert worden. Nach wie vor kommt in der
Beantwortung der Traufragen der Ehewille der die T. Begehenden zum Ausdruck,
mag derselbe auch noch so verschiedenartig formulirt, mag darin von einem „Hin-
nehmen“ oder „Haben und Halten als Ehefrau“ oder von einem „Führen der Ehe
mit dem anderen Theile“ die Rede sein. Und gleichermaßen ist die daran anschließende
Handlung des Geistlichen fort und fort eine solenne, im Namen des Dreieinigen Gottes
erfolgende Genehmerklärung der konkreten Ehe unter Hinweis sowol auf die darin
beschlossenen religiös-sittlichen Pflichten, als auf die darangeknüpften göttlichen Ver-
heißungen, ein „Binden mit Gottes Segen“, gleichviel ob man für diesen Gedanken
die althergebrachten Worte „zusammensprechen“ oder „bestätigen“ beibehalten, oder
dieselben durch „weihen“ oder „segnen“ ersetzt hat.
Auch daß die katholische Kirche an den alten Formularen überall festgehalten
hat, erklärt sich nicht allein aus dem Umstande, daß sie das bürgerliche Eheschließungs-
recht grundsätzlich ignorirt. Vielmehr hat dieser Grund ausschließlich da Bedeutung,
wo die Tridentinische Eheschließungsform in rechtlicher Geltung ist; er versagt da-
gegen vollständig, wo dies nicht der Fall ist. Demgemäß liegen in Nordamerika
und Schottland, wo das bürgerliche Recht zum Zustandekommen der Ehe nicht mehr
fordert als das Kanonische, die Dinge genau so, wie sie in Deutschland im Mittel-
alter und in den protestantischen Kirchen des 16. u. 17. Jahrhunderts lagen. Und
in Frankreich, wo die Disziplinardekrete des Tridentinums ebenfalls nicht publizirt
find, und demnach der vor dem Civilstandsbeamten erklärte Konsens auch vom
Standpunkte der Kirche aus die rechtliche Existenz der Ehe bereits begründet, resp.
konstatirt, kann der T. auch innerhalb der katholischen Kirche keine andere Stellung
zukommen, als der dem Givilakte nachfolgenden T. in unseren protestantischen
Kirchen, — abgesehen natürlich von dem, was etwa aus der von der kathol. Kirche
angenommenen Sakramentsnatur der Ehe abzuleiten ist.
Die Rechtsvorschriften bezüglich der T., welche insgesammt unter dem Titel
der Trauordnung begriffen werden, sind dreifacher Art:
1) Vorbedingungen der T. Sie sind theils materielle, theils formelle.
Beide fielen in den protestantischen Kirchen, so lange die T. zugleich den alleinigen
Eheschließungsakt bildete, mit den Vorbedingungen für das rechtliche Zustandekommen
einer Ehe zusammen. Aehnlich steht es auch jetzt noch in der katholischen Kirche,
sofern man unter dem „vSrechtlichen“ Zustandekommen speziell das Zustandekommen
nach kirchlichem Rechte versteht. Dagegen ist für die heutigen Deutschen evangelischen
Landeskirchen einerseits an Stelle der einzelnen materiellen Vorbedingungen der Ehe-
schließung eine einzige umfassende formelle Vorbedingung der T., der Civilakt ge-
treten, andererseits die T. noch an einige weitere Vorbedingungen geknüpft, die
wol früher größtentheils Bedingungen der Eheschließung waren, es aber jetzt nicht
mehr sind. Insbesondere schließen die meisten neueren Trauordnungen (z. B. für die
evangelische Landeskirche Preußens von 1880 §§ 1, 2, für Hannover von 1876 § 4,
für das Königr. Sachsen von 1876 § 12, für Württemberg von 1875 Art. 2) T.
von Ehegatten, von denen keiner zur evangelischen Kirche gehört oder der eine
Nichtchrist ist, ausdrücklich aus; öfter thun sie dies auch bei Ehen Geschiedener, „wenn
deren Schließung von den zuständigen Organen auf dem Grunde des Wortes Gottes
nach gemeiner Auslegung der evangelischen Kirchen als fündhaft erklärt wird"
(Preußen § 12, Hannover § 4), bei gemischten Ehen, falls der evangelische Theil
(oder wenigstens der evangelische Mann) die Erziehung der Kinder in der römisch-
katholischen oder einer anderen nicht evangelischen Konfession versprochen hat (Preußen