fullscreen: Rechtslexikon. Dritter Band. Zweite Hälfte. Stolgebühren - Zypaeus. (2.3.2)

Ungebühr. 925 
Lit.: Die Kommentare zum StrafGB., besonders Oppenhoff und v. Schwarze. — 
Pezold (Zimmerle) Die Deutsche Strafrechtspraxis, I. II. — Kah, Die Polizeivergehen 
des Deutschen Straf GBB., 1880. — Schicker, Das Pellheistrafrecht 2c. im Königr. Württem- 
berg, S. 162 ff. — Die von den Eit. angeführten Erkenntnisse der höchsten Gerichtshöfe. 
v. Lilienthal. 
Ungebühr. Dieser Ausdruck bezeichnet jeden gröblichen Verstoß gegen die 
Ordnung, daher auch jedes Benehmen, durch welches die schuldige Achtung vor 
einem Staatsdiener und seinem Amte verletzt wird. Synonym ist: „ungeziemendes 
Benehmen vor einer öffentlichen Stelle oder Behörde“, welches in Bayern (val. Art. 7 
des Ausf. Ges. zur Strafp# O. vom 18. August 1879), „ungebührliches Benehmen 
oder ungebührliche Aeußerungen im mündlichen oder schriftlichen amtlichen Verkehr“, 
welches in Württemberg (vgl. Art. 3 des Ges. vom 12. August 1879, betr. Aende- 
rungen des Landespolizeistrafgesetzes) mit Strafe bedroht ist. Eine bestimmte Definition 
des einen oder anderen dieser Begriffe ist nicht wol möglich. Wegen einer U., welche 
während einer öffentlichen Gerichtssitzung oder der Vornahme einer Amtshandlung 
durch einen Einzelrichter außerhalb derselben verübt wird, kann reichsgesetzlich eine 
Ordnungsstrafe bis zu 100 Mark oder bis zu 3 Tagen Haft verhängt werden 
(GVG. 88§ 179, 182). Befugt zur Festsetzung ist das Gericht (bei schöffengericht- 
lichen Verhandlungen also Amtsrichter und Schöffen), für welches der Vorsitzende 
in Ausübung der ihm obliegenden Sitzungspolizei die Initiative ergreift. Das. 
Recht, einen formellen Antrag, über welchen verhandelt werden müßte, auf Bestrafung 
einer Person wegen U. zu stellen, steht Niemandem, auch nicht dem Vertreter der Staats- 
anwaltschaft, zu. Der Straffestsetzung unterworfen sind Privat= und Nebenkläger, 
Beschuldigte, Zeugen, Sachverständige, bei der Verhandlung nicht betheiligte Personen 
E 179), ferner die bei der Verhandlung betheiligten Rechtsanwälte oder Vertheidiger, 
gegen welche jedoch nur eine Geldstrafe bis zu 100 Mark zulässig ist (§ 180). Auf 
Rechtsanwälte, welche bei der betreffenden Verhandlung nicht fungiren, findet eventuell 
§ 179 Anwendung. Die Mitglieder des Gerichtes sowie der Staatsanwaltschaft 
verfallen der Ordnungsstrafe nicht. In Ansehung der letzteren könnte das zweifel- 
haft scheinen, weil § 179 von „Parteien“ spricht, doch hätte, wenn dieser Ausdruck 
sich auch auf den Staatsanwalt beziehen sollte, hervorgehoben werden müssen (wie 
in § 180), daß die Verhängung der Ordnungsstrafe ein Disziplinarverfahren gegen 
den Beamten nicht ausschließt. Was als U. anzusehen sei, hat das Gericht im einzelnen 
Falle festzustellen. Es gehören dahin z. B. Zeichen des Beifalls oder Mißfallens 
von Seiten des Publikums, besonders wenn der Vorsitzende derartige Aeußerungen 
schon einmal untersagt hat, beleidigendes Verhalten gegen Mitglieder des Gerichtes, 
der Staatsanwaltschaft, Parteien, Zeugen 2c., Erscheinen in trunkenem Zustande, 
selbst wenn dadurch eine weitere Störung nicht veranlaßt wird, Nichtabnehmen des 
Hutes im Gerichtszimmer, kurz alle Worte, Handlungen und Unterlassungen, welche 
geeignet sind eine Nichtachtung des Gerichtes oder seiner Mitglieder zu bekunden. 
Auch Ungehorsam gegen richterliche Anordnungen kann sich als U. darstellen, so daß 
eventuell dem Gericht die Wahl bleibt zwischen Anwendung des § 178 oder 179. 
Bezüglich des § 180 muß daran festgehalten werden, daß der Rechtsanwalt 
sich nur dann einer U. schuldig macht, wenn sein Verhalten die äußere Ordnung 
und den gesellschaftlichen Anstand verletzt, daß aber seine Reden im Allgemeinen 
nicht der Censur des Vorsitzenden unterliegen. Beleidigungen der Zeugen, des 
Staatsanwalts 2c. rechtfertigen die Festsetzung einer Ordnungsstrafe gegen ihn, nicht 
aber Verletzungen seiner sittlichen Pflicht auf Wahrheit, ebensowenig der Versuch an 
das Gefühl der Geschworenen, statt an ihre Gerechtigkeit zu appelliren 2c. Eine 
freie Vertheidigung wäre unmöglich, wenn der Vertheidiger in dieser Beziehung ganz 
dem subjektiven Ermessen des Gerichtes überliefert wäre. — Alle zulässigen Strafen 
sind Ordnungsstrafen, sie schließen daher weder eine kriminelle noch eine disziplinarische 
Ahndung desselben Vorkommnisses aus, noch kann eine vollzogene Haft auf die etwa 
 
	        
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