934 Unterlassungsverbrechen.
zu der Zeit befand, als er sich die Unterlassung zu Schulden kommen ließ; denn an
sein Verhalten an diesem Ort knüpft sich nichts Strafbares; auch wäre es wol denk-
bar, daß er während dieser Zeit oft den Ort gewechselt hätte. Es kann also
als locus delicti commissi nur jener Ort angesehen werden, wo die unterlassene
Handlung hätte vorgenommen werden sollen; denn das Verbrechen besteht eben darin,
daß der Schuldige nicht gethan hat, was er dort hätte thun sollen; der äußerliche
Thatbestand des Verbrechens knüpft sich also an diesen Ort. — Zu den eben be-
handelten Omissivdelikten gehören auch die Formen der negativen Begünstigung
von strafbaren Handlungen, die Nichtverhinderung, die Nichtanzeige, soweit solche
ansdrücklich für strafbar erklärt sind. Dagegen gehört die negative Theilnahme,
d. h. die Mitwirkung bei einer fremden strafbaren Handlung durch Unterlassung, schon
in die Kategorie der durch Unterlassung begangenen Kommissivdelikte.
Kann es aber solche überhaupt geben? Diese Frage mußte sofort nach Vollzug
der eben geschilderten Sonderung der früher vermischten Arten der U. austauchen;
und sofort mußte auch die Verwechselung klar werden, zu welcher die Vermischung
derselben Anlaß geboten hatte: zwischen dem Grunde, welcher es rechtfertigen kann,
daß eine Unterlassung mit Strafe bedroht wird (weil nämlich die unterlassene Hand-
lung eine pflichtmäßige, die Unterlassung daher eine pflichtwidrige war) und dem
Grunde, welcher es rechtfertigen kann, daß bei übrigens ganz gleichem äußeren Ver-
halten die eine von zwei Personen als Urheber eines durch Unterlassung begangenen
Kommissivdeliktes angesehen wird, die andere aber nicht, weil wol die eine, nicht aber
die andere zu der unterlassenen Handlung verpflichtet war. Die gegen Kommissiv-
delikte gerichteten Gesetze sind so beschaffen, die Begriffsbestimmungen der fraglichen
Verbrechen so eingerichtet, daß in der Regel nur positives Handeln ihnen genügt;
die in einer Unterlassung liegende Rechtsverletzung soll daher das Fehlende ersetzen
und die Gleichstellung positiven Thuns mit bloßer (im Gesetze nicht vorgesehener)
Unterlassung rechtfertigen. Allein, geht es wol an, daß die moralische und juristische
Würdigung eines bestimmten Verhaltens die Subsumirung desselben unter eine
Beschreibung bewirkt, die auf dasselbe, an sich betrachtet, eingestandenermaßen nicht
paßt? Kann man umhin, es willkürlich zu nennen, wenn die Gleichstellung dessen,
was nicht geschehen ist, mit dem, was geschehen ist, durch das Widerrechtliche des
Benehmens eines bestimmten Menschen gerechtfertigt wird? Das kommt dann
darauf hinaus, daß das fragliche Individuum nicht unter ein eigens für die Ver-
letzung eines bestimmten Rechtsverhältnisses berechnetes Gesetz fallen soll, weil kein
solches Gesetz besteht, daß es ferner auch nicht der Definition eines bestimmten
Kommissivdeliktes entsprochen hat, des letzteren aber dennoch schuldig gefunden werden
soll, weil sein Benehmen ein jenem Rechtsverhältniß nicht entsprechendes ist. So
wird der Mangel eines Strafgesetzes für die Verletzung des Rechtsverhältnisses durch
das besondere Gesetz über ein bestimmtes Kommissivdelikt, und wieder die Unan-
wendbarkeit dieses Gesetzes auf den Fall durch die Berufung auf jene Rechtsverletzung,
verdeckt. Zum Begriff eines Kommissivdeliktes gehört jedoch, daß ein bestimmter
Zustand durch einen Menschen herbeigeführt worden sei. War nun das Verhalten
eines Menschen so, daß es dieser Voraussetzung entspricht, dann bedarf es nicht erst
der Berufung auf die besondere Verpflichtung, die er verletzt haben soll; war dies
nicht der Fall, so kann die Widerrechtlichkeit eines bestimmten Verhaltens an der
Thatsache nichts ändern, daß der eingetretene Zustand von diesem Menschen nicht
herbeigeführt wurde. Ist aber aus der Pflichtwidrigkeit der Unterlassung kein
Grund abzuleiten, welcher es rechtfertigt, um einer Unterlassung willen Jemand als
Urheber eines Kommissivdeliktes zu behandeln, ist nicht das ethische oder
juristische Urtheil über die Unterlassung, sondern die Frage der Kaufalität dafür
allein entscheidend, so tritt erst die Betrachtung in ihr Recht, daß ja eine bloße
Unterlassung, gleichviel wie sich der Mensch dabei innerlich verhalte, überhaupt
nicht ein Kausalitätsverhältniß begründen, Ursache eines bestimmten Erfolges sein