946 Untersuchungsrichter.
Verhaftete auf Einlegung eines Rechtsmittels verzichtete, oder das bereits eingelegte
Rechtsmittel zurückzog oder die Einlegungsfrist ablief, ohne daß eine Erklärung ab-
gegeben wurde.
Mit Rücksicht auf den endgültig Freigesprochenen entsteht die Frage, ob der
Staat verpflichtet sei, für die erlittene Untersuchungehaft dem Unschuldigen all-
gemein oder doch mindestens in den Fällen, in denen der Freigesprochene seine Ver-
haftung nicht durch verdächtiges Benehmen veranlaßt hat, eine Entschädigung nach
denselben Gesichtspunkten zu gewähren, die gegenwärtig bei Zwangenteignungen
allgemein anerkannt sind.
Vom Standpunkt der Theorie ist sowol die allgemeine als auch die auf gewisse
Fälle beschränkte Entschädigungspflicht des Staates eine bestrittene Frage (dafür
insbesondere Nissen, Geyer und Zucker). Die Gegnerschaft gegen die Entschä-
digungspflicht des Staates kann sich weniger auf rechtliche Prinzipien, als auf
finanzpolitische und fiskalische Erwägungen stützen. Einige Gesetzgebungen neuerer
Zeit (z. B. in den Schweizer Kantonen) erkennen die Entschädigungspflicht an.
Die Deutsche Straf PO. übergeht diese Frage mit Stillschweigen; so daß auf die
einzelnen Landesgesetzgebungen und Landesrechte zurückzugehen ist, wenn festgestellt
werden muß, ob die Justizverwaltung wegen Entschädigung zumal in solchen Fällen
in Anspruch genommen werden kann, in denen durch Versehen oder Irrthümer des
Richters, der Staatsanwaltschaft oder der untergeordneten Sicherheitsbeamten U.
herbeigeführt wurde. Mit Beziehung auf das ausschließlich reichsrechtliche Gebiet
der Strafrechtspflege (Hochverrath gegen den Kaiser u. s. w.) ist die Entschädigungs-
pflicht bei dem Mangel positiver Anhaltspunkte aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen
schwerlich zu begründen.
Quellen: RStrafPO. §§ 116 ff. — Bezügl. der Anrechnung: Straf GB. 8§ 60
482. — Oesterreich. Straf P. –Pö 184—187.
Lit.: S. unter d. Art. Haftbefehl. — Aufßerdem besonders: Heinze, Recht der U.,
Leipz. 1865. — Nissen, Verhandlungen des XII. Deutschen Juristentags, Bd. I. S. 46. —.
Geyer in „Nord und Süd“ 1881 (Augustheft). — Oesterreich: A. ucker, Die U. vom
Standpunkt der Oesterreich. Strafprozeßgejefgebung, Prag 1873, 1876, 1879. — Wahlberg.
Reform der U., in dessen Gesammelten Kleinen Schriften, 1875, Bd. I. S. 207. — Ueber
Belgien: ullmann, Allgem. Deutsche Strafrechtsztg. 1871 S. *i 500.
v. Holtzendorff.
Untersuchungsrichter (juge d'instruction) ist der mit der Führung der Vor-
untersuchung (s. diesen Art.) beauftragte Richter. Seine Stellung ist die eines
ständigen Einzelrichters. Nach § 60 des Deutschen G. sind „bei den Land-
gerichten Untersuchungsrichter nach Bedürfniß zu bestellen. Die Bestellung erfolgt
durch die Landesjustizuerwaltung auf die Dauer eines Geschäftsjahres“, jedoch kann
der Präsident des Landgerichtes bestimmen, daß einzelne Untersuchungen von dem
U., dessen Bestellung mit dem Ablauf des Geschäftsjahres erlischt, zu Ende geführt
werden (Deutsches G. § 64). Ein Amtsrichter darf als „U.“ mit einem be-
stimmten Wirkungskreis für Untersuchungen im Allgemeinen nicht bestellt werden;
wohl aber kann durch „Beschluß des Landgerichtes auf Antrag der Staatsanwalt=
schaft die Führung der Voruntersuchung“, d. h. einer bestimmten einzelnen Vor-
untersuchung, „einem Amtsrichter übertragen werden“ (Deutsche StrafP O. § 183).
In diesem Falle ist für diese einzelne Sache von dem Augenblick an, wo der Auf-
trag ergeht, bis zu dessen Widerruf, ausnahmsweise der Amtsrichter der U. —
„Bei dem Reichsgerichte wird der U. für jede“ einzelne „Straffache aus der Zahl der
Mitglieder durch den Präsidenten bestellt. Der Präsident kann auch jedes Mitglied
eines anderen Deutschen Gerichts und jeden Amtsrichter zum U. oder für einen Theil
der Geschäfte des U. zum Vertreter desselben bestellen“ (Deutsche Strafp O. § 184).
Die letztere Befugniß des Präsidenten muß als eine ganz anomale bezeichnet
werden; denn im Allgemeinen ist an dem streng einheitlichen Charakter der Vor-
untersuchung und an ihrer vollständigen Konzentrirung in der Hand des einen U.