Unvordenklichkeit. 951
Zur U. gehören: a) eine vermögensrechtliche Benachtheiligung Desjenigen, dessen
Geschäfte geführt werden; b) eine auf diese Benachtheiligung gerichtete Absicht bei
dem Handelnden; c) die Realisirung dieser Absicht durch eine Handlung, bzw.
(nach Abs. 2 des § 266) Unterlassung, welche in den eigenthümlichen Pflichtenkreis
der im Gesetz genannten Personen fällt. — Eine ausf rechtswidrigen Vermögens-
vortheil gerichtete Absicht wird nicht vorausgesetzt, ihr Vorliegen aber als Schärfungs-
grund behandelt. Neben dem sonst gedrohten Gefängniß und Verlust der bürger-
lichen Ehrenrechte kann hier zugleich Geldstrafe zuerkannt werden.
Der Versuch der U. wird nicht bedroht.
Die unter den Begriff derselben fallende Handlung kann zugleich den Thatbestand
eines der anderen Eigenthumsverbrechen erfüllen. In diesem Falle kommt dasjenige
Gesetz zur Anwendung, welches im gegebenen Falle auf die strengere Bestrafung hinaus-
führt. Ist dies die Vorschrift über U., so hat das betreffende Plus den Charakter
einer Verschärfung der Diebstahls-, Betrugs= 2c. Strafe mit Rücksicht auf die in
der Handlung (vermeintlich) liegende besondere Treulosigkeit.
Gsgb. u. Lit.: RStraf GB. r 266. — Ungarn Art. 361—364. — v. Posbendorft.
andbuch, III. S. 781—784; IV. S. 441 (Merkel). — Pezold, Strafrechtspraxis, I.
393—397; II. (Zimmerle) 436—444. A. M
Unvordenklichkeit (von den Römern vetustas, von den Neueren praescriptio
immemorialis, indefinita genannt) eines bestehenden Rechtszustandes begründet die
Rechtsvermuthung und ersetzt demgemäß den Beweis der rechtmäßigen Entstehung
desselben. Im Röm. Recht wurde diese Art der Verjährung (im weiteren Sinne)
in den Fällen anerkannt, in welchen die gewöhnliche Verjährung nicht Platz greifen
konnte, weil sie der Privatverfügung entzogen waren, so bei Gemeindewegen über
Privatgrundstücke, Schutzanstalten gegen Regenwasser und Wasserleitungen. v. Sa-
vigny hat darin Rechte publizistischen Charakters erblickt und die U. auf solche
beschränken wollen. Richtig ist, daß es Verhältnisse sind, bei welchen die unbestimmte
Masse (das Publikum) interessirt ist. Durch das Kanonische Recht, Deutsche
Reichsgesetze und das Deutsche Recht überhaupt ist das Rechtsinstitut der U. dann
weiter auf alle die Fälle ausgedehnt worden, bei welchen die ordentliche Ersitzung
nicht statthaft ist; der allgemeine Gesichtspunkt dabei ist der, daß ein Zustand,
welcher unvordenkliche Zeit hindurch unangefochten fortgedauert hat, ein Recht,
welches unvordenklich lange ausgeübt worden ist, als rechtmäßig entstanden gedacht
wird, eventuell zufolge Verleihung eines Privilegs, einer lex specialis.
Die Erfordernisse sind also ein Zustand, sei es sachlicher Art, sei es in fort-
gesetzten Handlungen bestehend, welcher mit der Prätension des Rechts verbunden ist
und nicht nur eine res merae facultatis repräsentirt, weshalb man auch von einem
dauernden Besitz spricht. Wie bei der gewöhnlichen Ersitzung die bona fides des
einzelnen Usukapienten erfordert wird, also das Bewußtsein der Abwesenheit eines
Unrechts, so ist bei der U. ein derartiges Wissen (Nichtwissen) der Gesammtheit
nothwendig: Niemand unter den Lebenden darf sich erinnern, daß er den fraglichen
Zustand selbst nicht von jeher so gesehen habe, oder daß er von seinen Vorfahren
gehört habe, es sei einmal anders gewesen. Da die eigene Erinnerung des Zeugen
ein ganzes Menschenalter (40 Jahre) umfassen muß, so hier nur Personen von
mindestens 54 Jahren geeignete Zeugen. Ob der Beweis auch durch Urkunden oder
Eideszuschiebung geführt werden kann, ist mindestens nicht unbestritten. Diese Be-
weisregeln werden durch die CPO. und ihren Grundsatz der freien Beweiswürdigung
nicht abgeändert in die U. zu den Präsumptivsatz (EG. zur CPO. § 16 Nr. 1).
Der Gegenbeweis hat sich nicht darauf zu erstrecken, daß der fragliche Zustand
früher einmal nicht bestanden habe, oder daß er an einem bestimmten Zeitpunkt
hervorgerufen worden sei, oder endlich, daß er erst in den letzten beiden Menschen-
altern begründet worden sei, sondern nur darauf, daß er in einem früheren Moment
unrechtmäßig entstanden sei; denn nur hierdurch wird die Vermuthung der
erkel.