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rechtmäßigen Entstehung beseitigt. Nicht nothwendig ist andererseits, daß der
frühere Zustand wirklich noch im Gedächtniß des Volkes fortlebe. Ueber die Lehre
von der U. und deren Anwendungsgebiet im Deutschen Recht, welches von dem
eben geschilderten Gemeinen Recht nicht wesentlich abweicht, vgl. die ausführliche
Darstellung von Stobbe, Deutsches Privatrecht, Bd. 1. § 69.
Die modernen Rechte verwerfen das Institut vollständig; das Preuß. Allg.
LR. setzt für gewisse gemeinrechtliche Anwendungsfälle eine Frist von 44, bzw. 50
Jahren fest (Allg. LR. I. 9 88 6, 56 ff.; vgl. die Zusammenstellung bei Dernburg,
Lehrbuch des Preuß. Privatrechts, Bd. 1. § 179); der Code civil weist die posses-
sion immémoriale ausdrücklich zurück (art. 86|1)
Lit.: Für das Gemeine Recht die 1andeetenlehrbücher besonders Windscheid, Bd.
113; Sintenis, Bd. I. § 51 D; Arndts, § 91; v. Wächter, Bd.G 1. § 6
— Unterholzner, ane bün Bo. I. 88 110—150. — Keitvrs Exe 1,
praktische Abhandlungen, Nr. 6. Heifer, Gralktische Ausführungen, II. 1; 1. um
in der Zeitschr. Hür entsches Recht Bd. VII — Schelling, Die iehe 2 -
unvordenklichen Zeit. — v. W Sallel. S IV. §§ 195—201. — Buchka, Der un-
vordenkliche Besitz. — Friedländer, Die Lehre von der unvordenklichen Zeit. — Beseler,
Deutsches Privatrecht, §5 51. — v. Gerb er, Deutsches Privatrecht, § 86. — Viele Erkenntnisse
in Seuffert's Archiv. Keil.
Unzucht. Nach Ausscheidung der Schändung und der Nothzucht, der Blut-
schande, der auf U. gerichteten Entführung und der widernatürlichen U., fallen unter
den Begriff der U. nur noch die gewerbsmäßige U., die Kuppelei, die Verleitung
zur U., die Verletzungen der Schamhaftigkeit durch unzüchtige Handlungen, Ab-
bildungen, Schriften und Darstellungen. Unzüchtige Aeußerungen, Lieder, Zeichnungen,
sind wol als grober Unfug gegen die Sitte, denn als unzüchtige Handlungen im
Sinne des Deutschen Straf GB. aufzufassen, wie Oppenhoff, Schütze, Rüdorff,
H. Meyer gegen v. Schwarze mit Recht bemerken. Unzüchtige Handlungen sind
nicht blos auf die Befriedigung des Geschlechtstriebes gerichtete Handlungen; schon
cynische Verletzungen des Schamgefühles durch Entblößung 2c. gehören hierher. Nach
Rubo ist eine unzüchtige Handlung eine von der Sitte verbotene, äußerlich wahr-
nehmbare Thätigkeit, welche der Thäter aus Geilheit, zur Befriedigung der eigenen
Sinnlichkeit, oder zur Erregung einer fremden sinnlichen Fleischeslust begangen hat
(Komment. 1879, S. 688—690, 702; dagegen Rüdorff, Komment. zu § 183).
Auch sind unzüchtige Handlungen von zuchtlosen zu unterscheiden. Die Schwächung,
der außereheliche Beischlaf, insofern dadurch kein öffentliches Aergerniß erregt oder ein
bestimmtes Pflichtenverhältniß verletzt wird, die nicht gewerbsmäßige Hurerei, die
wilde Ehe, das Maitressenthum sind im heutigen Strafrechte nicht mehr als strafbar
behandelt ohne Unterschied des Geschlechtes, des Standes, der Religion. Der Ent-
wickelungsgang der Gesetzgebungen für Preußen und Bayern spiegelt im Großen und
Ganzen eine bald rigoristische, bald laxe Auffassung der Ufälle ab, ein Zeichen
schwankender Experimentirkunst in der Bekämpfung der geschlechtlichen Unsittlichkeit;
theilweise hat diese sogar zur Legalisirung der Prostitution geführt, so nahe Wahl-
verwandtschaft auch zwischen Prostitution, Verbrechen und Gaunerthum obwaltet
und so entschieden auch der Geist gesunder Zucht und sozialethischen Ernstes nicht
blos gegen die Prostituirten, sondern auch gegen die Prostituirenden gekehrt
sein sollte. Auf die Phrase, die Prostitution sei ein unausrottbares Uebel, paßt
die Antwort, daß auch das Verbrechen ein unausrottbares Uebel im sozialen Körper
sei. Soll deshalb der Staat beide dulden oder gar legalisiren? Die Organisation
der außerehelichen Befriedigung des Geschlechtstriebes ist Desorganisation der geschlecht-
lichen Sittlichkeit. So lange U. nur als Laster auftritt. ohne Rechte Anderer zu
verletzen oder sittenverderbend ins öffentliche Leben einzugreifen oder gewerbsmäßig
zur Erscheinung zu gelangen, kann das Strafrecht des Staates nicht dagegen reagiren
(Bekker, Theorie des Deutschen Strafrechts, 1859 § 9; Hälschner, Gemeines
Deutsches Strafrecht, 1881 §§ 200, 209). Allein wenn die U. die Grundlagen der