Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Zweite Hälfte. Stolgebühren - Zypaeus. (2.3.2)

Unzucht. 955 
Wort U. auf den Beischlaf zu beschränken. Sachlich sind Verführung zur U., Ver- 
schaffen einer Gelegenheit zu derselben und Verletzungen der Schamhaftigkeit durch 
unzüchtige Handlungen zu sondern. Bei unerwachsenen Personen erscheint die Ver- 
führung zur U. strafbar, auch wenn sie von solchen Personen, ausgeht, welchen eine 
besondere Verbindlichkeit nicht obliegt, über die Reinheit der Sitten zu wachen oder 
für die Erziehung thätig zu sein, zumal bei Unerwachsenen noch nicht jene Wider- 
standskraft gegen sinnliche Aufreizungen vorausgesetzt werden kann, welche Schutz 
gegen Verführungskünste zu bieten vermag. Ungleich strafbarer wird die Verführung, 
wenn dem Verführer als Aufseher, Pfleger, Lehrer, Vormund, Erzieher, Seelsorger, 
Dienstperson eine solche Verbindlichkeit oblag, Mißbrauch eines bestimmten Ver- 
trauensverhältnisses vorkam. Als ein besonderes Antragsdelikt behandeln die Straf- 
gesetze die betrügliche oder arglistige Verleitung zum Beischlafe mittels vorgespiegelter 
Tranung oder anderer Täuschungen; die Benützung eines ohne Zuthun des Thäters 
entstandenen Irrthumes fällt nicht unter diesen Begriff. Unbescholtenheit der ver- 
leiteten Person ist hier nicht nothwendig. Ganz abgesehen von einer Verführung 
oder Verletzung einer dem Thäter obliegenden besonderen Verpflichtung hatte das 
Preuß. Straf CB. § 142 schon die Vornahme unzüchtiger Handlungen in dem Ver- 
hältnisse der Vormünder zu ihren Pflegebefohlenen, der Lehrer, Geistlichen, Erzieher 
zu ihren minderjährigen Schülern und Zöglingen, der Beamten zu Personen, gegen 
die sie eine Untersuchung zu führen haben oder die ihrer Obhut anvertraut sind, 
ferner der Beamten, Aerzte oder Wundärzte zu Gefangenen oder in öffentlichen An- 
stalten verwahrten Kranken, Armen oder anderen Hülflosen. Hier ist das persönliche 
Verhältniß beziehungsweise der Mißbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses aus 
polizeilichen Rücksichten als maßgebend angenommen und jede U.handlung, obwol 
mit freier Zustimmung beider Theile begangen, auch nicht blos die auf Befriedigung 
des Geschlechtstriebes gerichtete Wollust, als strafbar erklärt; seltsam genug sollte 
solche U. blos an einer Person, nicht an beiden dabei Betheiligten bestraft werden, 
mag eine Verführung stattgefunden haben oder nicht, ein Mangel des Gesetzes, ab- 
gesehen von der willkürlichen Kafuistik, innerhalb deren das leitende Prinzip ab- 
handen gekommen ist, wie von der ungerechtfertigten Härte der Drohung mit Zucht- 
haus bis zu fünf Jahren. Beachtensw. Entsch. des k. k. Kassationsh. über Betastung 
der Geschlechtstheile von Kindern zur Befriedigung der Sinnenlust: Oesterr. Ger.-Ztg. 
1875, Nr. 28; Goltdammer, Archiv IX. 589. Die Praxis bezeugte zahlreiche 
Härten, welche mit einer gerechten Strafgesetzgebung unverträglich sind, zumal das 
Preuß. Straf GB. in Fällen des § 142, wie überhaupt bei allen strafbaren Hand- 
lungen gegen die Sittlichkeit, die Annahme mildernder Umstände und die Anwendung 
einer milderen Strafart ungerechtfertigt ausschloß. 
Lit.: Mißbrauch der Autorität zum Zwecke der Unzucht oder Schändung, Schütze, 
4 — Rüdorff, § 183. — Hälschner, III. 324. — Villnow, Gerichtssaal 1874, 
  
  
24. — Wahlberg, Gerichtssaal 1873. — Strafrecht des Gesundheitswesens, in Grün- 
ut's Zeitschr. VII. — Rubo, Komment. zu § 183. — Meves, Allgem. Deutsche Straf- 
rechtszeitung 1873. 
III. Kuppelei. Die Beihülfe zur U. Anderer, lenocinium, wird als Kuppelei 
in bestimmten Fällen bestraft, und zwar theils als Verbrechen, theils als Vergehen 
oder., Uebertretung. Mit Zuchthaus: wenn, um der U. Vorschub zu leisten, hinter- 
listige Kunstgriffe angewendet worden sind; wenn der Schuldige zu den Personen, 
mit welchen die U. getrieben wurde, in dem Verhältnisse von Eltern, Groß= und 
Stiefeltern zu Kindern oder Enkeln, von Vormündern zu Pflegebefohlenen, von Er- 
ziehern, Lehrern oder Geistlichen zu den von ihnen zu erziehenden oder zu unter- 
richtenden Personen steht; wenn der die U. Anderer oder die Verführung zu dieser 
vermittelnde Zubringer seine Ehefrau zum Zwecke der Befriedigung der Geschlechts- 
lust überläßt oder durch Verschaffung von Gelegenheit Vorschub leistet: Deutsches 
Reich, §§ 180, 181; Preußen § 148; Bremer Entw. 1868, Art. 9b; Oesterr. Entw. 
1867, §§ 199, 200; Baden § 364; Hamburg § 220. Mit Arbeitshausstrafe bis zu vier
	        
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