Urkunden. 963
mittels verloren habe, ist verfehlt. Nicht deshalb, weil das Geschäft überhaupt in
urkundlicher Form abgeschlossen, ist es gültig, sondern weil das an sich zulässige
Geschäft durch den Gebrauch der U. beglaubigt wird. Uebrigens ist es hauptsächlich
gerade dieser Charakter der U., welcher zu den gesetzlichen Vorschriften geführt hat:
er ist es auch, der einem Uebereinkommen der Interessenten über die Wahl der
Schriftform zu Grunde liegt. Wie schon aus den diese Form zuerst in Preußen
einführenden Edikten vom 13. Mai 1766 und 8. Februar 1770 hervorgeht und in
der Einleitung zu letzterem ausdrücklich betont wird, ging die Absicht des Gettz.
gebers dahin, durch seine Anordnung den Hindernissen entgegenzutreten, welche b
der mündlichen Form in der Beweisführung durch Zeugen liegen, die Pgemeiniglich
weder die einem Vertragsschluß vorausgegangenen Unterhandlungen von dem Kon-
trakte selbst zu unterscheiden, noch sich der dabei vorgefallenen Worte genau zu
erinnern wüßten.“ Es wird also die urkundliche Form gefordert und für ein mehr
oder weniger wesentliches Requisit des Rechtsgeschäfts erklärt, um durch sie einen
jeden Zweifel ausschließenden Beweis für die Willenserklärungen der Interessenten
zu erlangen. Später sind wol noch andere Erwägungen hinzugetreten, insbesondere
die, daß durch die Schriftform eine leichtfertige Abgabe von Willenserklärungen
verhindert werde: nirgends aber ist der Gesetzgeber dahin gelangt, die U. als den
Verpflichtungsgrund selbst anzusehen.
2) Mit scheinbar größerem Rechte werden die sog. Inhaberpapiere als min-
destens eine Ausnahme von der Beweisnatur der U. angeführt. Indem man das
Wesen dieser Papiere aus ihrer Erscheinungs= und Handhabungsform zu erklären sucht,
kommt man zu dem Satze, daß das, was zu ihrer Ausstellung Veranlassung gegeben,
gleichgültig sei. Einmal ausgestellt, sei die U. von dem Veranlassungsgrunde los-
gelöst. Sie sei daher nicht Beweis einer Obligation, sondern selbständiger Ent-
stehungsgrund derselben. Der Hauptvertheidiger dieser Ansicht ist Unger, dessen
Auffassung in der Behauptung gipfelt, daß die Ausstellung einer solchen U. nichts
Anderes sei, als die Uebertragung eines abstrakten Forderungsrechts, als die sua vi
ac potestate wirkende Konstituirung eines Nomen. Wenn sich auch für diese
Meinung geltend machen läßt, daß in der Regel der Schuldgrund in der U. nicht
zum Ausdruck gebracht wird, setzt ihr Förster doch mit Recht entgegen, daß in
der Praxis vielfach das der U. zu Grunde liegende Schuldverhältniß für die künftige
Zahlung entscheidend bleibt, somit die causa obligationis nicht durch ihre Ausstellung
begründet wird. Andere führen aus, daß sich die Obligation in der U. verkörpere,
und diese Träger derselben sei. Sie sei Subjekt der Obligation: der Inhaber aber
nicht selbst Gläubiger, sondern nur Vertreter des Subjekts, also der U. Auch diese
Ansicht leugnet die Natur der U. als eines Beweismittels. Allein sie vindizirt
der U. eine Stellung, die ihr im Rechtsgebiete nicht wol zugestanden werden kann.
Man hat bei der Erörterung des Rechtsverhältnisses davon auszugehen, daß der
Aussteller des Inhaberpapiers eine Obligation eingeht, in welcher er denjenigen
Inhaber der U. als seinen Gläubiger anzuerkennen sich verbindlich macht, der ihm
die U. zur Zahlung vorlegen werde. Diese Obligation tritt ihm gegenüber in
dem Augenblick in Kraft, in welchem er die U. aus den Händen giebt. Durch
ihren Erwerb überkommt jeder Inhaber das Recht, die Obligation durch Präsentation
der U. zur Zahlung geltend zu machen. Er tritt nunmehr als Subjekt in die
Obligation ein. Sie wird perfekt, durch die U. erwiesen, und der Aussteller
berechtigt, ihr diejenigen Einreden entgegenzusetzen, die ihm zustehen entweder aus dem
Veranlassungsgrunde oder gegen die Person des Subjekts. Nur dann, wenn gleichzeitig
auch die Vorschriften des H.R. eingreifen und die U. den Charakter eines Verpflich-
tungsscheines annimmt, ändert sich die Stellung des Ausstellers. Es mag zugegeben
werden, daß bei dieser Auffassung das Verhältniß der Zwischenbesitzer eine über-
zeugende Erklärung nicht findet. Allein sie dürfte ausreichen, um der U. den Charakter
eines Beweismittels zu wahren. Daß übrigens zu den hier gedachten Inhaberpapieren
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