Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Zweite Hälfte. Stolgebühren - Zypaeus. (2.3.2)

Strafsenat — Strafverwandlungsgründe. 811 
neuestens gewöhnlich als schlechthin unrichtig bezeichnet), wenn Feuerbach u. A. 
behauptet haben, die allgemeine Ermächtigung des Richters zur Strafschärfung ver- 
stoße gegen den Grundsatz: Strafe darf nur verhängt werden auf Grund eines Straf- 
gesetzes (nulla poena sine lege poenali). — Die S. theilt man ein in allgemeine 
und besondere, je nachdem sie allgemein für alle Verbrechen oder nur für einzelne 
Arten der Verbrechen gelten. Als allgemeine S. nennt man heutzutage nur noch 
die Konkurrenz von Verbrechen und den Rückfall (val. die betr. Art.), während 
man früher wol noch Anderes hierher stellte, wie z. B. Uebertretung besonderer 
Pflichten, Ueberhandnehmen des Verbrechens (vgl. PGO. Art. 131), Gewohnheit 
(von Manchen auch aus psychologischen Gründen als strafmildernd betrachtet), be- 
sondere Bosheit oder Grausamkeit, sehr großen Schaden, Heiligkeit (oder besondere 
Befriedigung) des Ortes u. dgl. m. Die meisten dieser Umstände begegnen uns 
heutzutage noch unter den besonderen S.; an die Stelle der „Gewohnheit“ ist 
aber nicht selten der kriminalistisch in dieser Richtung in der That besser zu ver- 
wendende Begriff der Gewerbsmäßigkeit getreten. In manchen Gesetzbüchern, 
namentlich im Oesterreichischen Straf GB., kommt es auch vor, daß bezüglich einzelner 
Gattungen von Verbrechen dem Richter mit den vagen Worten: „bei erschwerenden“ 
oder „bei besonders erschwerenden Umständen“ eine allgemeine Ermächtigung zur 
Strafschärfung gegeben wird, was natürlich nicht zu billigen ist. — Die besonderen 
S. nennt man dann Oualifikationsgründe oder Oualifikationsumstände, wenn 
ihr Eintreten bewirkt, daß sich das Verbrechensgenus in eine besondere (schwerer 
verpönte, qualifizirte) Unterart des Verbrechens verwandelt, so wie z. B. der Einbruch 
den Diebstahl zum gqualifizirten macht. Solche Qualifikationsgründe finden sich in 
den meisten Gesetzbüchern in einer übermäßigen Anzahl bei den Vermögenzdelikten 
und namentlich bei dem Diebstahl. Dieser Tadel trifft selbst das Deutsche Straf G., 
obwol dies gegenüber den früheren Gesetzen Fortschritte zeigt. — Nebenbei sei noch 
bemerkt, daß unter Schärfung oder Verschärfung auch die Anwendung von 
gewissen, die Vollstreckung der Hauptstrafe empfindlicher machenden Nebenstrafen 
(hartes Lager, Entziehung warmer Kost u. dgl.) verstanden wird. Derartige Ver- 
schärfung im Urtheil auszusprechen, ist nicht zu billigen; das Preußische Straf G., 
das Sächsische revidirte, das Deutsche Straf GB. und der Oesterreichische Entwurf 
haben sich hierin der richtigen Ansicht angeschlossen. 
Lit.: Außer der zum Art. Strafmilderungsgründe angeführten Schit Kipp- 
mann's #(etwa noch F. Ziegler, Die Theorie der Strafschärfung, 1860. 
Strafsenat, s. Oberlandesgericht und Reichsgericht. 
Strafverwandlungsgründe (Thl. I. S. 740): Gründe, welche es noth- 
wendig machen, daß die gesetzliche ordentliche Strafe ausnahmsweise in eine andere 
gleichwerthige umgewandelt werde. Diese Gründe müssen aber selbst wieder in 
einem Gesetz angegeben werden; der Richter kann ohne gesetzliche Vorschriften über 
Strafverwandlung nicht nach seinem eigenen Ermessen an die Stelle der gesetzlichen 
Strafe eine andere setzen (vgl. Thl. I. a. a. O.). Im Allgemeinen kommt Straf- 
verwandlung in Frage: I. wenn es thatsächlich unmöglich ist, die gesetzliche 
Strafe zu vollziehen: a) weil mehrere Strafen zu verhängen wären, welche der Natur 
der Sache nach an einem Menschen nur einmal vollzogen werden können, nament- 
lich also mehrere Todes= oder lebenslängliche Freiheitsstrafen. Da heutzutage ge- 
schärfte Todesstrafen nicht mehr zugefügt werden, kann es höchstens bei lebensläng- 
licher Strafe einer Erwägung bedürfen, ob eine neben derselben zu verhängende 
Freiheitsstrafe durch Verschärfungen ersetzt werden solle, was im Geist eines richtigen 
Strafensystems wol, sofern jene Verschärfungen nicht identisch sind mit den Dis- 
ziplinarstrafen einer rationellen Gefängnißordnung, zu verneinen ist. Eigenthümlich 
die Oesterreichische Minist. Verordn. vom 7. April 1860: „Wenn ein zur lebens- 
langen Kerkerstrafe Verurtheilter ein mit der Todesstrafe bedrohtes Verbrechen verübt, 
 
	        
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